So wie hier in Libyen sind vor allem Nichtregierungsorganisationen in der Seenotrettung von Geflüchteten engagiert. Foto: dpa/Olmo Calvo

Weil Corona das Leid von Flüchtenden auf dem Mittelmeer und in den Lagern an der EU-Außengrenze in Vergessenheit geraten lässt, planen Aktivisten am Samstag eine Kundgebung in Esslingen. Treffpunkt ist die Agnesbrücke.

Esslingen - Das Sterben im Mittelmeer geht weiter.“ Mit dieser dramatischen Aussage kündigen die Veranstalter der Rettungskette für Menschenrechte ihre Aktion am Samstag, 24. April, an. Das Zitat spielt auf die Flüchtenden an, die auf ihrer Reise über das Mittelmeer tödlich verunglücken. Sowohl in Esslingen als auch deutschlandweit haben Aktivisten Kundgebungen geplant, um auf Menschen auf der Flucht und ihre lebensgefährliche Situation aufmerksam zu machen.

 

Die eigentliche Rettungskette, eine Menschenkette, die von der Nordsee bis ans Mittelmeer führen soll, sei aufgrund der Coronabestimmungen bereits zum dritten Mal verschoben worden, sagt Kurt Hilsenbeck von der kirchlich-diakonischen Flüchtlingsarbeit im Kirchenbezirk Esslingen. Derzeit ist sie für Samstag, 18. September, geplant. „Wenn wir jetzt aber gar kein Signal setzen würden, um auf das Elend der Menschen aufmerksam zu machen, das täte uns sehr weh“, so Hilsenbeck. Durch die Pandemie seien die Themen Flucht und Leid an den EU-Außengrenzen – zum Beispiel das Ertrinken und die Frontex-Einsätze im Mittelmeer sowie die Zustände in den Lagern auf Lesbos – weniger präsent in den Medien.

Zieger wirbt für Nächstenliebe

Stichwort Corona: Obwohl die Offene Aktionsgruppe für Flucht und Migration, ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen, die hinter der Rettungskette steht, derzeit eine vorläufige Genehmigung für ihre Kundgebung am Samstag hat, bereitet ihr die Sieben-Tage-Inzidenz Bauchgrimmen. Diese nähert sich im Esslinger Stadtgebiet derzeit der 300er-Marke. „Es kann also noch sein, dass die Aktion kurzfristig abgesagt wird“, schickt Hilsenbeck voraus. Geplant ist, dass sich die Teilnehmer am Samstag gegen 11 Uhr an drei verschiedenen Punkten im Stadtgebiet – am Maille-Spielplatz, Bahnhofsvorplatz und Hafenmarkt – treffen. Mit Bannern und Plakaten sollen diese Gruppen dann durch die Stadt zur Agnesbrücke ziehen. „Wir werden sehr streng auf die Einhaltung der Masken- und Abstandsregeln achten“, sagt Hilsenbeck.

OB Zieger als Schirmherr

Schirmherr der Aktion ist Esslingens scheidender Oberbürgermeister Jürgen Zieger. „Im Dezember 2020 hat der Gemeinderat der Stadt Esslingen unsere Stadt zum ,Sicheren Hafen’ erklärt“, sagt der Rathauschef. „Stellvertretend hat der Gemeinderat damit für unsere ganze Stadt seine Solidarität mit den Menschen auf der Flucht zum Ausdruck gebracht.“ Man wolle ein Zeichen für Menschlichkeit, Solidarität und Frieden setzen. „Es ist für mich ein Gebot der Nächstenliebe und ein unverhandelbarer Grundwert demokratischer Rechtsstaaten, Menschen in Not zu unterstützen. Deshalb habe ich gerne die Schirmherrschaft für die Rettungskette für Menschenrechte zugesagt“, so Zieger. Mit ihrer Aktion am Samstag wollen die Veranstalter nicht nur auf die Not Flüchtender im Mittelmeer und in den Lagern an den EU-Außengrenzen aufmerksam machen, es gibt auch konkrete Forderungen. „Und zwar soll das Land ein neues Landesaufnahmeprogramm auflegen“, sagt Hilsenbeck. Ein ähnliches Programm habe Berlin auf den Weg gebracht, sei aber am Bundesinnenministerium gescheitert.

Kritik an Frontex-Einsätzen

Anja Julia Stehnken von der Esslinger Seebrücke meint, die Landesregierung sollte ebenfalls ein solches Aufnahmeprogramm beschließen. „Wahrscheinlich werde sie damit scheitern, weil Horst Seehofer blockiert, aber dann könnten sie sich der Berliner Klage am Bundesverwaltungsgericht anschließen“, sagt Stehnken. Auch sie wird am Samstag bei der Kundgebung sprechen. Neben der Aufnahme von mehr Geflüchteten geht es der Seebrücke auch darum, die Einsätze der Agentur Frontex auf dem Mittelmeer zu verurteilen, bei denen auch Soldaten und Polizisten aus Baden-Württemberg eingesetzt würden. Bei diesen Einsätzen komme es immer wieder zu Gewalt, es fehle zudem eine Kontrollinstanz. „Wir brauchen wieder eine staatlich organisierte und finanzierte Seenotrettung“, fordert Stehnken.