Ausverkauftes Haus bei Afrob am Samstagabend im Wizemann. Man kann auch einige Kapuzenpullis mit dem Kolchose-Schriftzug entdecken. Die jüngeren Menschen gehen nebenan zu den Rikas, die am selben Abend im ausverkauften Club spielen.. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

20 Jahre nach „Rolle mit HipHop“ ist Afrob in Topform. Das zeigt er auch bei seinem Auftritt im Wizemann. Ein Treffen vor dem Konzert mit der Frage: Wo steht Hip-Hop heute? Und wie kann man als Rapper in Würde älter werden?

Stuttgart - Natürlich ist es ein Heimspiel, wenn Afrob in Stuttgart auftritt. Das Konzert im Wizemann ist sein Tourabschluss, sein „Abschied von gestern“, wie das aktuelle Album heißt. Die Halle ist ausverkauft. Klar. „Ich rolle mit HipHop, seit ich denken kann“, rappt Afrob. Und es ist mal wieder einer dieser Momente, an denen die Fans von früher merken, wie schnell die Zeit doch vergangen ist. Dass heute Streaming-Playlisten mehr gelten als Alben. Dass da einer auf der Bühne steht, der ohne den Effekt Autotune auskommt. Dass da einer rappt: „Heut ist der Kodex dicke Rolex weit verbreitet“.

Neues Album „Abschied von gestern“

Mit seinem neuen Album „Abschied von gestern“ wollte er zeigen, „dass man mit Rap altern kann. Es ist nichts Peinliches daran. Das ist mir, denke ich, über die Themen gelungen“, sagt er. Afrob hat im deutschen Hip-Hop im Jahr 2019 vielleicht auch eine Sonderstellung. Wo sieht er sich selbst? „Ich habe mich gut eingerichtet“, sagt Afrob. Er könne das machen, was er möchte, hat sein eigenes Label. „Ich habe mich immer schwergetan, dieses Stardasein zu leben und zu genießen“, so Afrob beim Interview am Nachmittag in den Backstageräumen des Wizemanns. Er freut sich über den Nachwuchs im deutschen Rap. Und auch über die Vielfalt. „Es gibt so viele Strömungen, und alle sind es Wert, gehört zu werden.“

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Zwanzig Jahre nach dem Album „Rolle mit Hip Hop“, das als Meilenstein im deutschen Rap gilt, steht Afrob, der mit bürgerlichem Namen Robert Zemichiel heißt, immer noch oder auch wieder auf der Bühne. „Wir feiern heute nicht nur das Album, wir feiern nicht nur mich, wir feiern heute Hip-Hop aus Stuttgart“, sagt Afrob zu seinen Fans und die bejubeln ihn dafür. Da hat sich einer freigeschwommen, auch wenn der Blick immer wieder nostalgisch zurückgeht „Nach Stuttgart komme ich immer gerne. Ich bin froh hier zu sein“, sagt Afrob am Nachmittag. Neun Jahre hat er in Berlin gelebt, jetzt wohnt er in Hamburg.

Aufgewachsen in Weilimdorf

„Rolle mit Hip-Hop“ war sein Debüt, veröffentlicht bei Four Music, produziert von Friction, Thomilla, Wasi, Philippe Kayser und Tommy Wittinger. Ein Produkt mitten aus dem Schoß der Kolchose, diesem umtriebigen, losen Zusammenschluss aus Rappern, Skatern und Sprayern, die von Stuttgarts Hügel ihre Botschaft in die Welt – zumindest die deutschsprachige – verteilten. Aufgewachsen ist Afrob in Weilimdorf. Er erzählt vom Lindental und vom „Hasenbrünnele“: „Meine Prägung ist schwäbisch. Es ist das größte Glück meines Lebens, dass ich in Stuttgart aufgewachsen bin. Klar, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Heute hilft es mir aber auch bei der Herangehensweise, das Deutschsein mit Migration einzuordnen.“

Immer wenn er in der Stadt ist, führe der erste Weg zum Hotzenplotz: „Und da esse ich erst mal geröstete Maultaschen mit Kartoffelsalat. Das ist kein Pathos, das ist, wie es ist.“ Heute erkenne er die Stadt nicht wieder. „Früher hatte ich meinen Ausweis immer bereit, jetzt werde ich von den Polizisten nicht mal mehr angeschaut.“ VfB-Fan ist er nach wie vor – und meint: „Lieber noch mal ordentlich ein Jahr zweite Liga.“

Er singt vom „Flüchtling 4 life“

„Abschied von gestern“ ist ein programmatischer Titel. „Es musste eine Zäsur her. Im Privaten musste ich mich von verschiedenen Dingen lösen“, erzählt der 42-Jährige am Nachmittag. Musikalisch klingen die Songs oldschool, nach der guten, alten Schule. Afrob selbst nennt es „Neo Boom Bap“: „Es sind Sounds, die übertragbar sind auf die heutige Zeit.“ Es ist ein anderes Album, das Tempo geht nie über 90 Beats per Minute. In seinen Texten kommt immer das Private durch. Er erzählt von Telefonobsessionen, der Beziehung zu der Ex-Freundin oder von Depressionen wie in „Wo gehör ich hin“, in dem er vom „reichen, kranken Land“ erzählt. „Es gibt immer mehr Armut. Das führt zu viel Unzufriedenheit. Und: Nur zufriedene Eltern sind gute Eltern.“ Afrob schaut immer wieder auf die kleinen Dinge und übersetzt sie ins große Ganze. Und bei ihm ist das Private politisch. Wie etwa der Song „Flüchtling 4 life“ beispielsweise, also Flüchtling fürs Leben. Afrob sagt: „Das ist kein politischer Song, das ist ein Lied aus meinem Leben. Der zeigt die Enttäuschung, dass da ein Versprechen auf Teilhabe und Teilnahme war. Ich fühle mich hier beheimatet, aber alle die anders aussehen, sind heute Flüchtlinge. Die Lebensleistung wird nicht zur Kenntnis genommen. Das ist traurig und hoffnungslos.“

Songs von Public Enemy gaben ihm Selbstbewusstsein

Afrob war ein Baby mit drei Monaten, als die Familie nach Deutschland kam. Geboren ist er in Italien in der eritreischen Kolonie. Erst kamen sie ins Heim nach Karlsruhe, dann in eine Sozialwohnung in Braunschweig, dann zog die Familie nach Stuttgart. Mit 13 Jahren hörte er zum ersten Mal die Songs von Public Enemy. Für den Buben klang es wie eine Erlösung. „Für mich war das mehr als Musik“, so Afrob. „Die haben mir das Selbstbewusstsein gegeben, dass es völlig okay ist, wie ich aussehe. Es gab keine anderen Schwarzen außer mir.“

Afrob merkte, dass er nicht alleine ist. Und er begann zu rappen. Zwei Konzerte durfte er dann 1999 im Vorprogramm seiner Helden spielen. Dann kamen die Erfolge, als Hip-Hop aus Stutttgart le dernier cri war. Afrob machte die Mittlere Reife und war Gast bei den FK Allstars rund um Max Herre, Joy Denalane, Gentleman und Sékou, er rappte bei den Brothers Keepers und immer wieder mit Samy Deluxe. Auf seinem Debüt findet sich auch „Reimemonster“ mit Ferris MC, das bis heute ein Hip-Hop-Partykracher ist. So ist das auch am Samstagabend im Wizemann, in dem man einige Kapuzenpullis mit Kolchose-Logo sehen kann. Es sind vor allem die alten Lieder, die bei den Fans in Stuttgart das Hip-Hop-Herz höherschlagen lassen. Heute rappt Afrob „zwischen mir und Rap passt kein Stück Papier“. Recht hat er.