Außenminister Guido Westerwelle spricht in Termez in Usbekistan mit Soldaten der Bundeswehr nach seinem Rückflug aus Kabul. Foto: dpa

Außenminister Westerwelle verspricht bei der Konferenz in Kabul Afghanistan wirtschaftliche Hilfe.

Kabul - Der Konvoi prescht über Straßen, Kreisverkehre und Plätze, die für Kabuler Verhältnisse wie leer gefegt wirken. Gäbe es nicht jenen alten Mann auf dem klapprigen Fahrrad, der angesichts des Überholmanövers der Jeeps mehr vom Sattel rutscht als absteigt, und jene beiden Haudegen, die noch schnell einen Pferdekarren eigenhändig über die Hauptstraße ziehen wollen, und stünden hier nicht alle 50 Meter afghanische uniformierte und zivile Polizisten, die kurze Meldungen in ihre Walkie-Talkies stoßen: Den Händlern, die hinter ihnen vor ihren offenen Verschlägen sitzen, würde sicher ein gut Teil Unterhaltung fehlen.

Hier also sehen sie die Wagenkolonne des deutschen Außenministers Guido Westerwelle an sich vorbeirasen. Da sich der Staub nur langsam wieder auf Kabuls Asphalt legt, erkennen sie freilich nicht das blaue Nationenkennzeichen und die Deutschlandflaggen in den Cockpits. Na wenn schon, sie haben seit den frühen Morgenstunden schon die Russen, Briten, Türken, Iraner, Kasachen, Pakistani, Tadschiken, Ägypter, Dänen und Amerikaner an sich vorbeiziehen lassen – jeweils mit deren Minister. Insgesamt 38 Delegationen.

„Bitte die Langwaffen nicht sichtbar im Auto führen“

Stolz sollen sie darauf sein, die Afghanen, so will es ihr Präsident Hamid Karsai, der am vergangenen Donnerstag zum ersten Mal seit Beginn der unzähligen weltweiten Afghanistan-Konferenzen eine große Tagung in ihrer Hauptstadt völlig eigenverantwortlich ausrichtet. „Bitte die Langwaffen nicht sichtbar im Auto führen“, schnarrt es aus den Funkgeräten der deutschen Delegation.

Keine ausländische Führung mehr, die den Afghanen vorschreibt, wie diese Konferenz ablaufen soll. Drum also auch Pferdekarren und Räder zwischen Konvois der Staatsgäste. Drum auch ambitionierte afghanische Sicherheitskräfte, die die Laptop-Taschen von westlichen Konferenzbeobachtern umkrempeln, iPads und Rechner hochfahren, Lippenstifte, Zigaretten, Sonnenbrillen und alle weiteren Utensilien, die sie nicht mehr zuordnen können, mehr oder minder gerecht auf alle vor ihnen liegenden Taschen aufteilen. Leiser Protest wird ignoriert, hier im Herzen Asiens.

Nachbarn sollen Terrorismus und Drogenhandel bekämpfen

„Im Herzen Asiens“ – so ist die Konferenz betitelt, die Südasien, Mittleren Osten und Zentralasien neu sortieren will. Hier geht es um nichts weniger als die militärische, politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit der Staaten in der Region. Wem der Begriff KSZE noch geläufig ist – jene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa –, weiß, wie wichtig es ist, dass sich zerstrittene oder verfeindete Staaten auf die Unverletzlichkeit der Grenzen, die friedliche Regelung von Streit, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten und auf eine enge Zusammenarbeit in Wirtschaft und Wissenschaft einigen. Vertrauensbildende Maßnahmen.

Auf die Verhältnisse der Afghanistan-Anrainer übertragen heißt das: Die Nachbarn sollen Terrorismus und Drogenhandel bekämpfen – hier stehen die USA und Großbritannien Pate, wie es im Abschlussdokument ausdrücklich heißt. Die beiden Länder sind schon heute die Hauptausbilder afghanischer Streitkräfte. Künftig also haben sie auch das Mandat, den blühenden Drogenhandel zu bekämpfen, aus dem sich weite Teile der afghanischen Politik und Gesellschaft finanzieren.

Deutschland soll Wirtschaftsförderung koordinieren

Ferner soll die Region bei der Zug- und Strominfrastruktur kooperieren, was Turkmenistan und Aserbaidschan übernehmen, den grenzübergreifenden Katastrophenschutz neu erfinden und die Handelskammern der Länder miteinander verzahnen. Wer miteinander Handel treibt, schießt nicht aufeinander, so die Hoffnung.

Deutschland soll die Wirtschaftsförderung und Infrastruktur federführend koordinieren. „Wir helfen der Region bei der wirtschaftlichen Entwicklung“, sagt Westerwelle. Und die eigene Industrie soll auch daran verdienen. Deutschland will als Wirtschaftsmacht dabei sein. „Wirtschaft ist die Schlüsselfrage“, sagt der neue Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Michael Koch, in der deutschen Botschaft, die erst im April von Aufständischen beschossen worden war. Die Glasfront der Botschaft ist seither hinter schusssicheren Containern kaum mehr zu erahnen. Das schreckt ab, auch Investoren, die sich hier informieren wollen.

Deutsche Firmen sind noch recht verzagt

Bei der Ausbeutung der Bodenschätze hat China die Nase vorn – vor zehn Tagen erst schloss Karsai mit Peking einen lukrativen Vertrag ab. Deutsche Firmen sind noch recht verzagt, wollen nicht investieren, solange Grund- und Boden- oder Schürfrechte juristisch nicht geklärt sind. Und sie trauen dem afghanischen Frieden à la „Isaf hält die Taliban in Schach“ nicht. Denn die Isaf geht 2014. Regierungen wie Nichtregierungsorganisationen fürchten, dass die Taliban aus ihrem pakistanischen Rückzugsraum an die Macht in Afghanistan zurückkehren könnten, sobald die internationalen Streitkräfte in der Mehrzahl abgezogen sind – und nebenbei unzähliges Militärgerät zurücklassen. Hier sind sich Westerwelle und sein Verteidigungskollege Thomas de Maizière einig: „Darum ist Sicherheit so wichtig: Die Afghanen müssen das Vakuum schließen, das der Abzug ab 2014 hinterlässt.“

Deutsche Militärs indes sind schnell dabei, auf jene 800 bis 1000 deutsche Kampfsoldaten zu verweisen, die nach Recherchen unserer Zeitung auch nach 2014 im Land verbleiben. Die USA planen mit eigenen bis zu 12 000 Mann. Für den Notfall. Heißt auch, um potenziellen Investoren das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. „Wir helfen den Afghanen auch, um uns selbst vor islamistischem Terror zu schützen. Vor allem aber kann Präsident Karsai das Erreichte beim zivilen Wiederaufbau nicht einfach rückabwickeln“, meint Westerwelle. Ein heikles Feld. Was wird beispielsweise aus jenen Frauen- und Kinderprojekten, die Mädchen heute ganz selbstverständlich die gleiche Förderung zuteilwerden lassen wie Jungs? Künftig ist ausgerechnet das iranische Mullah-Regime in der Region für die Umsetzung der Beschlüsse im Bereich Bildung und Wissenschaft zuständig. Koran-Drill allerorten „im Herzen Asiens“?

„Gute Regierungsführung und Drogenbekämpfung“

Präsident Karsai, der vom Westen erst protegiert und ob seiner Verstrickungen und Nachlässigkeiten immer stärker kritisiert wurde, darf 2014 nicht wieder zur Wahl antreten. Was er noch liefern muss? „Gute Regierungsführung und Drogenbekämpfung“, sagt Westerwelle allen Ernstes, als würde Karsai ausgerechnet seine größten Versäumnisse wettmachen wollen.

Noch wehen alle Flaggen vollständig am Kabuler Flughafen. So, als gäbe es den Abzugsbeschluss für 2014 nicht, als wären Kanada und die Niederlande noch mit vollen Kontingenten dabei. Die Bundeswehr verlegt in diesen Wochen ihr erstes Wiederaufbau-Team aus Feisabad und schließt das dortige Feldlager nach acht Jahren. Im Januar war der Stützpunkt den afghanischen Partnern überantwortet werden. Oberstleutnant Manfred Wienecke beschreibt, was nun kommt: „Der operative Auftrag wird deutlich weiter reduziert, und der Rückbau tritt dann noch weiter in den Vordergrund.“

Vor Wintereinbruch soll der letzte der derzeit noch knapp 200 deutschen Soldat abziehen. Wienecke ist überzeugt, dass die Bundeswehr ihren Ausbildungsauftrag gut erfüllt hat: „Wir haben uns als Soldaten eigentlich selbst überflüssig gemacht. Das ist am Ende auch ein gutes Gefühl.“ Dem heimischen Polizeichef Sabur Nasrati geht das zu schnell. Es sei noch nicht an der Zeit zu gehen. Der Feind habe möglicherweise einen Plan für die Zeit nach den Deutschen. „Aber wir werden zurechtkommen. Wir müssen zurechtkommen.“