Kreisarchivar Wolfram Berner (links) präsentiert das Original-Gemeinderatsprotokoll von 1844, Schultes Steffen Döttinger die 100 Dollar aus dem Jahr 2021. Foto: Werner Kuhnle

Das Leben schreibt mitunter die schönsten Geschichten: Der Affalterbacher Bürgermeister Steffen Döttinger hat Post von einem unbekannten Amerikaner bekommen – und eine 100-Dollar-Spende für die Gemeinde. Denn diese schenkte dem Urahn des Amerikaners anno 1844 einen Betrag von 40 Gulden, damit er genug Geld zum Auswandern hatte.

Affalterbach - Bin mit meiner Familie gut angekommen, danke für die 40 Gulden.“ So hätte anno 1844 ein Schreiben von Johannes Gall an seine Heimatgemeinde Affalterbach aussehen können. Denn die Gemeinderäte, deren Familiennamen auch heute noch am Apfelbach zu finden sind, hatten dem damals 41-jährigen Maurer den genannten Betrag gegeben, damit er mit seiner Frau Barbara und den vier Kindern in die USA auswandern und dort fortan seinen Lebensunterhalt verdienen konnte, was in der Heimat immer weniger möglich war. Vielmehr war absehbar, dass die Familie früher oder später ein Fall für die allgemeine Fürsorge werden würde, da es zu dieser Zeit nicht genügend Arbeit gab.

Ein solches Schreiben hat Affalterbach aber natürlich nie erreicht. Denn der Familienvater dürfte nach der unbequemen, etwa 45-tägigen Überfahrt im Frachtraum eines Segelschiffs in dem fremden Land ganz anderes zu tun gehabt haben. Und dennoch trafen im Februar dieses Jahres Informationen über den Verbleib des Auswanderers in dessen alter Heimat ein. Ein Ururenkel von Johann Gall, ein gewisser Richard Zahn, schrieb an „Steffan Döttinger“, den „Mayor“ von Affalterbach im „Ludwigsburg District, Germany“ und legte nicht nur Übersetzungen der alten Urkunden bei, sondern auch einen 100-Dollar-Schein, der so neu aussah, dass der verblüffte Bürgermeister ihn zunächst für Spielgeld hielt. Er wolle der Gemeinde etwas von dem zurückgeben, was sie seinerzeit für seinen Urahn getan habe, schrieb der Amerikaner, der in Grand Rapids im US-Bundesstaat Michigan lebt.

Das Originaldokument der Gemeinderatssitzung ist gut erhalten

Steffen Döttinger ist schwer davon beeindruckt, „dass jemand nach 177 Jahren auf die Idee kommt, was zu schicken“. Und er schaltete gleich den Kreisarchivar Wolfram Berner ein, um der Sache auf den Grund zu gehen. In einem in gestochen scharfer deutscher Schreibschrift verfassten Gemeinderatsprotokoll vom März 1844 wurde dieser tatsächlich fündig. Die Auswanderung sei auch deshalb Thema im damaligen Ratsgremium gewesen, weil Johannes Gall zuvor offiziell aus dem Königreich Württemberg entlassen werden musste, erklärt der Experte, der auch die entsprechende Bürgerrechtsverzichtsurkunde vorweisen kann.

Eine Auswanderung aus Armut sei damals kein Einzelschicksal gewesen, erzählt der Archivar. „Allerdings ging die große Welle erst ein bis zwei Jahre später los wegen der Hungersnot.“ Doch auch ein überlebensnotwendiger Entschluss war aus Kostengründen schwer in die Tat umzusetzen. Die Schiffspassage für die Galls, auch das ist vermerkt, kostete 330 Gulden – das war etwa ein Jahreslohn.

Geldspende geht an die Bürgerstiftung für einen sozialen Zweck

„Dass man als Archivar so detaillierte Vorlagen bekommt, ist selten“, freut sich Berner. Und so kann sich nun Richard Zahn darüber freuen, in digitaler Form nähere Informationen über seinen Urahn zu bekommen. Denn zwischen ihm und Steffen Döttinger besteht inzwischen E-Mail-Kontakt. „Ich habe Herrn Zahn auch eingeladen, nach Affalterbach zu kommen“, berichtet der Bürgermeister.

Was aus den 100 Dollar wird, haben die beiden ebenfalls einvernehmlich geklärt: Der Gegenwert von stark 80 Euro geht an die Bürgerstiftung Roswitha und Hans Werner Aufrecht und kommt so einem sozialen Zweck zugute. Was Döttinger an der ganzen Angelegenheit ebenfalls freut: „Das zeigt, dass uns die Amerikaner eben doch näher sind, als man manchmal denkt.“ Ob noch Verwandte des Auswanderers im Ort leben, habe er zwar noch nicht erforscht, meint er: „Aber vielleicht meldet sich ja jetzt jemand.“