Während der bejubelten Rede ihres Parteikollegen Meuthen starrt Frauke Petry auf ihr Smartphone. Foto: Getty Images Europe

Beim Parteitag in Köln erleidet die Vorsitzende Frauke Petry eine schwere Schlappe. Als Spitzenduo werden Alice Weidel und Alexander Gauland gewählt.

Köln - Am frühen Sonntagnachmittag ist die Welt der AfD eine andere. Es ist 13.31 Uhr, als das neue Spitzenteam für die Bundestagswahl steht. Der 76-jährige Bundesvize Alexander Gauland und die 38-jährige Unternehmensberaterin Alice Weidel sollen die Partei in die Bundestagswahl führen. Die Delegierten springen auf, klatschen Beifall. Auch die Mitglieder des Bundesvorstandes erheben sich mit strahlenden Gesichtern und gratulieren den Gewählten. Nur die Vorsitzende Frauke Petry bleibt sitzen und spendet müden Applaus. Erst nach einer Weile erhebt sie sich, umarmt Weidel und nach einigem Zögern auch Gauland. Dieser Schritt fällt ihr schwer. Denn Petry ist die Verliererin dieses Wochenendes, sie ist nicht mehr die Nummer eins in der AfD. Der Ablauf dieses Parteitags ist selbst für die junge Partei, die reich an Überraschungen ist, außergewöhnlich.

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Rückblende, Freitagabend. Am Abend vor ihrem großen Auftritt wird die AfD-Vorsitzende Frauke Petry gefragt, ob sie nervös sei. Petry lacht und sagt, sie habe als Kind bei Klavierkonzerten gelernt, ihre Aufregung zu kontrollieren. Falls sie eine Vorahnung hat, wie es laufen wird, lässt sie es sich zumindest nicht anmerken. Petry wirkt aufgeräumt. Nervenstärke und Belastungsfähigkeit zählen zu ihren Stärken. Für die 41-jährige, hochschwangere AfD-Parteichefin hängt viel ab vom Verlauf des Kölner Parteitag. Er wird zeigen, ob die AfD noch auf ihre Vorsitzende hört. 15 Stunden später wird sich herausstellen, dass diese junge Partei die Demontage ihrer Chefs lustvoll zelebrieren kann.

Ihre Absage an eine Mitarbeit im Spitzenteam war vermutlich ihr größter Fehler

Dass es so kam, daran ist Petry selbst schuld. Ihre Äußerungen haben in den vergangenen Wochen in der Partei Unruhe ausgelöst. Mit einem Zukunftsantrag wollte sie der Partei eine Kurs-Neubestimmung aufdrängen. Irritationen hat zudem ausgelöst, dass die Parteichefin für ein Spitzenteam zur Wahl nicht zur Verfügung steht. Petry erreichten daraufhin Nachfragen von Mitgliedern, ob sie noch Bundesvorsitzende bleibt. Das will sie natürlich. Doch mit ihrer Absage an ein Spitzenteam hat sie sich selbst aus dem Spiel genommen – vielleicht ihr schwerster Fehler. „Bis zum nächsten Wahlparteitag ist sie die richtige Vorsitzende“, sagt der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen mehrdeutig. In diesem Jahr läuft die Amtszeit des Bundesvorstands ab.

Der Kölner Parteitag liefert viel Anschauungsunterricht, wie eine Partei ihre Vorsitzende verschleißt. In ihrer 25-minütigen Rede versucht Petry zu werben, zu erklären, zu versöhnen. „Wir müssen politische Reife an den Tag legen“, ruft sie den 600 Delegierten zu. „Wir sind den Wählern eine ehrliche Ansage schuldig, auf welche Weise wir Politik machen wollen.“ Nicht mehr einzelne AfD-Politiker aus den Landesverbänden sollten das Parteibild bestimmen. Mit solchen Aussagen will Petry erreichen, dass nicht mehr länger Querschüsse wie die des Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke mit seiner umstrittenen Äußerung vom „Mahnmal der Schande“ die Außendarstellung prägen. Deshalb fordert sie, die AfD müsse sich auf Realpolitik konzentrieren.

In einer symbolischen Geste geht sie am ersten Tag auf die Gegner zu. Es täte ihr leid, wenn sie jemanden verletzt habe, sagt sie. Ihrem Widersacher Alexander Gauland bietet sie an, den von ihr eingebrachten Zukunftsantrag einvernehmlich umzuformulieren. Der Parteitag ist froh über die versöhnlichen Signale. Die Delegierten stehen auf und spenden anhaltenden Beifall. Die Zustimmung ist nicht überschwänglich, aber eine Geste der Harmonie.

Den Delegierten steht nicht der Sinn nach Aussöhnung

Zu diesem Zeitpunkt hätte die Sache versöhnlich ausgehen können. Doch der Parteitag will es anders. Den Delegierten steht nicht der Sinn nach Aussöhnung. In den anschließenden Beratungen über die Frage, welche Anträge die Partei zulassen will, muss Petry eine schwere Niederlage hinnehmen. Ihr Zukunftsantrag, an den sie viele Hoffnungen geknüpft hat, wird kurzer Hand abgeschmettert. Der Parteitag will nicht einmal darüber beraten. Wie isoliert die Vorsitzende ist, wird auch daran deutlich, dass sich kein Unterstützer aus dem Petry-Lager für den Antrag stark macht. Als der Versammlungsleiter wissen will, ob jemand aus dem Saal den Antrag begründen möchte, bleibt es still. Dann winkt Petry mit einer kurzen Handbewegung ab. Die Geste sagt: Es hat sowieso keinen Sinn mehr. Die wochenlange Diskussion um die Ausrichtung wird per Parteitagsvotum eingestellt. Für Petry eine schwere Schlappe.

Es wird nicht die letzte Demütigung bleiben. Dass Petry nicht mehr an erster Stelle steht, wird klar, als ihr Co-Vorsitzender Jörg Meuthen ans Mikrofon tritt. Der Baden-Württemberger, der schon auf dem Parteitag in Stuttgart vor einem Jahr die beste Rede gehalten hat, wird mit stürmischem Applaus bedacht. Der Volkswirtschaftsprofessor kommt auch deshalb gut an, weil er nationalistische Töne anschlägt. Er beklagt ein „ungeheures Maß an Migranten“. Wenn er samstags durch seine Heimatstadt laufe, sehe er nur noch vereinzelt Deutsche. „Wir wollen nicht zur Minderheit im eigenen Land werden“, ruft er den Delegierten zu. Frenetischen Beifall bekommt er auch für diesen Satz: „Wir müssen unser Land zurückerobern.“ Der Ökonom, der wirtschaftlichen Sachverstand in die AfD bringen will, gefällt sich in seiner Rolle als Vaterlandsverteidiger.

Generalabrechnung mit Petry

Während die Delegierten bei Meuthens Rede mehrfach aufstehen, tippt Petry auf ihrem Handy und blickt kaum auf. Meuthen hat sich zu einer Generalabrechnung mit Petry entschieden. Obwohl ihre Programmänderung längst für gegenstandslos erklärt worden ist, tritt er nach. Petrys Trennung zwischen Realpolitik und Fundamentalopposition sei eine trügerische Wahrnehmung, sagt er. „Diese Debatten helfen uns nicht weiter.“ Seine Kontrahentin hört regungslos zu. Es ist wohl der Moment der größten Demütigung.

Wie enttäuscht sie darüber ist, macht sie wenig später vor Kameras und Mikrofonen klar. Sie halte das für eine folgenschwere Entscheidung, sagt sie. „Ich glaube, dass die Partei einen Fehler macht.“ In den nächsten Monaten werde sie sich die Partei genau anschauen. Sie wolle sich vorerst zurückhalten. Das Spitzenteam müsse nun sehen, wie es mit der „Nicht-Entscheidung des Parteitags“ umgeht. Daraus lässt sich ableiten, dass sie zunächst ins zweite Glied tritt. Petry will noch nicht hinschmeißen. Die Distanzierung ist aber unübersehbar.

Die Mitglieder debattieren lieber über Inhalte als über Posten

Für die AfD-Delegierten ist die Welt dennoch in Ordnung. Stolz sind sie, dass sie über zahllose Stunden hinweg hingebungsvoll über das Wahlprogramm debattieren. Obwohl mehrere Mitglieder darauf drängen, die Wahl des Spitzenteams vorzuziehen, wollen die Delegierten darüber erst gegen Ende des Parteitags sprechen. „Wir reden lieber über Inhalte anstatt über Posten“, sagt ein Delegierter. Schließlich wird doch noch ein Spitzenteam bestimmt: Mit 67 Prozent Zustimmung werden Gauland und die baden-württembergische Spitzenkandidatin Alice Weidel gewählt. Sie sollen die AfD nach außen vertreten – Gauland als Vertreter des deutschnationalen Flügels und die Unternehmensberaterin Weidel, die den liberal-konservativen Wirtschaftsflügel vertritt. Weidel ist schon baden-württembergische Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl. Die junge Frau ist eine der letzten bekannten Wortführer des Wirtschaftsflügels. Bei ihrer Vorstellung nach der Wahl zeigt sie, dass sie auch polarisieren kann. Dass Weihnachtsmärkte mit Maschinenpistolen und Lkw-Sperren gesichert werden müssten, bezeichnet sie als einen Skandal.

Am Ende versucht es Gauland mit einem Appell an die Eintracht. Er spricht von einem erfolgreichen Parteitag. An Petry gewandt fügt er hinzu: „Ich weiß, dass sie gestern einen schweren Tag hatte.“ Die AfD brauche Frauke Petry. Die Delegierten erheben sich und stimmen in lautstarke Frauke-Frauke-Rufe ein. Sie feiern die Parteichefin noch einmal. Wenigstens für einen kurzen Moment.