Der AfD-Landtagsabgeordnete Räpple hat seine Meldeplattform vom Netz genommen – offenbar aber nur vorübergehend. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die AfD instrumentalisiert Schüler und sät Misstrauen. Das ist verwerflich. Sie muss ihren elektronischen Lehrer-Pranger dauerhaft stoppen, fordert Lokalchef Jan Sellner

Stuttgart - Ist es richtig, einem Thema Beachtung zu schenken, von dem man weiß, dass derjenige, der es mit politischem Kalkül inszeniert hat, exakt das bezweckt: größtmögliche Beachtung? Der AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple hält es jedenfalls für einen „gigantischen Erfolg“, welch große Kreise die Diskussion über die von ihm am Donnerstag freigeschalteten Meldeplattformen gegen AfD-kritische Lehrer und Professoren zieht. Dass die Seiten am Freitag Ziel angeblicher oder tatsächlicher Hackerangriffe wurden, erhöht die Aufmerksamkeit noch. Ebenso die Tatsache, dass das „Team Räpple“ die Seiten anschließend vom Netz nahm, um sie gegen neue Hackerattacken zu sichern. Ein Drehbuch nach bekanntem Muster: AfD-Politiker erst als Provokateure und dann als Opfer. Mit dieser Taktik ist die Partei überhaupt erst so groß geworden.

Petzen ist eine Spielart von hetzen

Soll man das Thema deshalb ignorieren und Politiker vom Stile Räpples Hinterbänkler sein lassen? Das kann man tun, man riskiert damit aber, dass Verhaltens- und Redeweisen normal werden, die nicht normal sind – jedenfalls nicht in einer freiheitlichen, an den Werten der Aufklärung orientierten Gesellschaft. Die Meldeplattformen gegen Lehrer, die die AfD ausgehend von Hamburg flächendeckend ausrollen will, sind in einer solchen Gesellschaft nicht akzeptabel. Erst recht nicht vor dem Hintergrund der unheilvollen Denunziationserfahrungen in Deutschland – erst während der Zeit des Nationalsozialismus und später in der DDR. Petzen ist eine Spielart von hetzen. Lehrer und andere Studierte unter Linksverdacht zu stellen folgt überdies einem bekannten, braungefärbten Muster – was im Fall der AfD besonders bizarr wirkt, stand sie doch einst im Ruf, eine Professoren-Partei zu sein.

Wenn das Anschwärzen zum System erhoben wird

Erst vor wenigen Tagen wurde vielerorts – auch bei der AfD? – an den 100. Geburtstag von Hans Scholl erinnert, der nicht weit von hier, in Ingersheim, geboren wurde. Zusammen mit seiner Schwester Sophie und anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose wurde er 1943 hingerichtet – vorausgegangen war die Denunziation durch einen Pedell der Ludwigs-Maximilians-Universität in München. Das zeigt, wohin es führen kann, wenn das Anschwärzen zum System erhoben wird. Auch von der AfD darf man erwarten, dass sie aus der Geschichte lernt. Statt Schüler aufzufordern, missliebige Lehrer zu melden, sollte sie sich aktiv für Werte wie Zivilcourage und Mitmenschlichkeit einsetzen.

Eine Form von Kindesmissbrauch

Was Räpple und andere AfD-Politiker mit ihrem elektronischen Pranger anrichten, ist verwerflich. Das Lehrermeldeportal hat das Potenzial, das Klima an Schulen zu vergiften. Kinder und Jugendliche sollen instrumentalisiert und zu Meinungsschnüfflern gemacht werden. Man kann darin einen Kindesmissbrauch sehen. Empörung alleine hilft jedoch nicht. Es führt kein Weg an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD vorbei – gerade auch an den Schulen. Sie sollen dazu beitragen, dass Schüler mündige Bürger werden. Dabei müssen sie das Neutralitätsgebot beachten. Neutral sein heißt jedoch nicht, geschichts- oder staatsvergessen zu unterrichten. Aufgabe der Lehrer ist es, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten und politische Gefahren zu thematisieren. Die AfD kann Zweifel daran zerstreuen, dass sie diese Ordnung infrage stellt. Zum Beispiel, indem sie ihren Pranger stoppt.

jan.sellner@stzn.de