Gehen künftig eigene Wege: Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen (links) und zwölf weitere Abgeordnete (hier: Heinrich Fiechtner und Udo Stein) verlassen die Fraktion. Foto: dpa

Nur vier Monate nach der Wahl verlassen der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen und zwölf weitere Abgeordnete die Landtagsfraktion. Der Bundesvorstand stärkt Meuthen den Rücken – doch Frauke Petry hält sich auffallend zurück.

Stuttgart - Es ist großes AfD-Kino im Stuttgarter Landtag, das da am Dienstag gegeben wird – und zwar zum wiederholten Mal binnen weniger Wochen. Erst vor 14 Tagen hatte die 23-köpfige Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) ihre Spaltung nur mit größter Mühe abgewendet. Ein Gutachten zum Fall des AfD-Abgeordneten Wolfgang Gedeon sollte klären, ob die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den pensionierten Arzt aus Singen zu Recht erhoben werden. Bis zum Ende der parlamentarischen Sommerpause im September, so der Kompromiss vom 21. Juni, wollte sich die AfD-Fraktion Zeit nehmen. Und dann final über den Ausschluss Gedeons beraten und entscheiden.

Aber als der AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen am Nachmittag im Königin-Olga-Bau des Landtags mit versteinerter Miene vor die Presse tritt, ist das alles Makulatur – zu dem Zeitpunkt ist die Spaltung der Fraktion de facto bereits vollzogen. Gut eine Stunde zuvor haben er und zwölf weitere AfD-Mandatsträger die Fraktionssitzung verlassen, nach einem erneuten heftigen Schlagabtausch zur Causa Gedeon. Der Auszug sei von ihm nicht geplant gewesen, erklärt Meuthen. Er habe die Abgeordneten, die ihm spontan gefolgt seien, nicht dazu aufgefordert, es ihm gleichzutun.

„Manchmal muss man den harten Weg gehen“, sagt Meuthen

Jörg Meuthen spricht von einem „Reinigungsprozess“, der für ihn persönlich unabwendbar gewesen sei. „Manchmal muss man eben den harten Weg gehen“, sagt der AfD-Fraktionschef, der zugleich die Landespartei anführt und gemeinsam mit seiner Intimfeindin Frauke Petry auch an der Spitze der Bundespartei steht. Petry befindet sich übrigens, noch während Meuthen sich erklärt, kurz vor den Toren Stuttgarts. Sie kommt aus Straßburg und will sich mit den Abgeordneten treffen, die mit Wolfgang Gedeon in der AfD-Fraktion verbleiben. Ob er Frauke Petry auch treffen werde? Meuthen lächelt gequält und antwortet mit einem knappen Nein.

Unmittelbar ausgelöst worden sei die Eskalation durch das Versagen der Findungskommission, sich auf einen Gutachter zu verständigen, welcher die Schriften Gedeons untersuchen sollte, erklärt Meuthen. Er habe schließlich erkennen müssen, dass es für ihn keinen anderen Weg geben könne, als die Fraktion zu verlassen, so Meuthen weiter. Zwei Expertisen, darunter ein 19-seitiges Papier des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt, hätten ihn in seiner Haltung bestärkt. „Herr Gedeon vertritt nach meiner festen Überzeugung glasklare antisemitische Positionen“, sagt Meuthen.

Frauke Petry handelt auf eigene Rechnung

Noch bevor im Stuttgarter Landtag die Pressekonferenz beginnt, auf der die Spaltung der Landtagsfraktion bekannt gegeben wird, verschickt die Bundespartei eine Erklärung zu den Vorgängen in Stuttgart. „Einstimmig vom Bundesvorstand beschlossen“, steht auf dem Papier, das eine Rückendeckung für Jörg Meuthen sein soll. Doch die Geschlossenheit auf Bundesebene zeigt sich nur auf den ersten Blick. Meuthen und seine Widersacherin Frauke Petry sind die beiden Bundesvorsitzenden der AfD. Auf Meuthens Bitte hin schlossen sich kurzfristig zehn der 13 Mitglieder des Bundesvorstandes zu einer Telefonkonferenz zusammen und berieten über das Vorgehen. Der Beschluss soll der Öffentlichkeit klarmachen, dass die Bundespartei hinter Meuthen steht. Doch so einvernehmlich geht es in der AfD seit Langem nicht mehr zu. Bei der Telefonkonferenz war die Ko-Vorsitzende Frauke Petry nicht dabei. Sie handelt in der Sache auf eigene Rechnung.

Schon deshalb sind die Beteuerungen des Bundesvorstands mit großer Vorsicht zu genießen. „Der Bundesvorstand distanziert sich von denjenigen Mitgliedern der Fraktion, die nicht mit Jörg Meuthen die Fraktion verlassen werden“, heißt es in dem Beschluss. Aus Sicht der Bundespartei sind Meuthen und seine Mitstreiter die maßgeblichen AfD-Vertreter. „Wir anerkennen als Vertreter der AfD im Landtag von Baden-Württemberg ab sofort nur Jörg Meuthen und die Abgeordneten, die sich ihm anschließen“, erklärt der Bundesvorstand. Das Problem ist nur: Petry sieht das völlig anders. Ihre Kritiker sagen, sie verfolge das Ziel, die Mitglieder in der Fraktion gegen Jörg Meuthen in Stellung zu bringen – deshalb auch ihre Reise nach Stuttgart.

Die machtbewusste Vorsitzende agiert vorerst aus dem Hintergrund

In der AfD geht es drunter und drüber. Meuthen selbst hat sich darüber beklagt, dass sich die Ko-Vorsitzende Frauke Petry in die Streitigkeiten im Landesverband einmischte. Ähnlich äußerte sich auch der brandenburgische Landeschef und Petry-Feind Alexander Gauland. Petry wird nun zu nutzen wissen, dass Meuthen nach der Spaltung im Landesverband beschädigt ist. Der eloquente Volkswirtschaftsprofessor, der auf dem letzten Parteitag in Stuttgart mit seiner Rede besser ankam als Petry, ist geschwächt. Seine Widersacherin aus Sachsen steht nun einem Konkurrenten gegenüber, der seinen Landesverband nicht im Griff hat. So wird es Petry darstellen. Die machtbewusste Vorsitzende agiert vorerst aus dem Hintergrund. Sie hofft, dass der desolate Zustand der AfD im Südwesten für sie spricht.

Erst vor wenigen Tagen wurde deutlich, wie zerstritten die Führungsspitze ist. Die AfD-Führungsleute Meuthen, Gauland und Björn Höcke (Thüringen) haben Petry offen die Eignung zur Führung der Partei abgesprochen. Von charakterlichen Schwächen der Vorsitzenden war die Rede. Auffallend ist, dass Petry bei wichtigen Veranstaltungen der Bundespartei nicht mehr präsent ist. Als die AfD jüngst in Berlin ihre Haltung zum Ausstieg der Briten aus der EU erklärte, fehlte Petry.

Der unerbittliche Machtkampf an der Spitze geht weiter

Obwohl Jörg Meuthen einen schweren Stand hat, ist es noch nicht ausgemacht, dass er den Kürzeren zieht. Die Bundespartei machte früh deutlich, dass sie eine klare Abgrenzung von antisemitischen Äußerungen des baden-württembergischen Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gedeon für notwendig hält. Vor allem der einflussreiche AfD-Vordenker Gauland war unzufrieden damit, dass kein klarer Schnitt gemacht wurde. Dazu kommt es jetzt. „Der Bundesvorstand erinnert an seinen Beschluss, dass Antisemitismus keinen Platz in der AfD hat“, heißt es nun. Die Spaltung im Südwesten wird als kleiner Betriebsunfall in einer noch jungen Partei ausgegeben. Doch der unerbittliche Machtkampf an der Spitze geht weiter.

Meuthen will nun mit den zwölf Abgeordneten eine neue Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg gründen. Rein rechtlich ist das nach Auskunft der Landtagsverwaltung möglich. Demnach bedarf es mindestens sechs Abgeordneter, die der gleichen Partei angehören, um eine neue Fraktion aus der Taufe zu heben. Die Frage ist nur, wie die neue Fraktion heißt. Meuthen lässt keinen Zweifel daran zu, dass er den Parteinamen AfD für sich und seine zwölf Mitstreiter beansprucht. Er verweist auf den Beschluss, den der Bundesvorstand kurz zuvor einstimmig gefasst hat und der seinen Schritt einstimmig unterstützt.

Als er dies erklärt, ist die Pressekonferenz bereits beendet. Die Spannung ist von Meuthen gewichen, er kann schon wieder flachsen. „Wir sind die AfD. Die anderen könnten sich vielleicht Antisemiten für Deutschland nennen.“