Die 68-jährige Sahle-Work Zewde wird Präsidentin in Äthiopien. Das ist eine kleine Sensation. Wird das Land zur Reform-Hoffnung in Afrika?

Adis-Abbeba - Sahle-Work Zewde braucht nicht lange, um zur ihrer Sache zu kommen. „Wenn Ihr denkt, ich hätte jetzt genug über Frauen geredet, dann habt Ihr euch getäuscht“, sagte die 68-Jährige bei ihrer Antrittsrede als Präsidentin von Äthiopien: „Ich habe nämlich gerade erst begonnen.“ Der Anlass ihrer Rede war ein historischer: zum erstenmal in der jüngeren Geschichte Äthiopiens wurde eine Frau zur Chefin des zweitbevölkerungsreichsten Staates Afrikas gewählt – zuletzt hatte Kaiserin Zewditu Anfang des vergangenen Jahrhunderts am Horn von Afrika geherrscht, von der biblischen Königin Shaba einmal abgesehen.

  Dass Sahle-Work (in Äthiopien werden Personen stets bei ihrem ersten Namen genannt) nur das zeremonielle Oberhaupt ihrer Heimat ist, während Premierminister Abiy Ahmed die Regierungsgeschäfte führt, schränkt die Begeisterung der fast 60 Millionen Äthiopierinnen kaum ein. „Dies ist ein bedeutender symbolischer Erfolg“, meint die äthiopische Frauenrechtlerin Selam Musse: „Eine Frau als Staatschefin zu haben, wird uns alle wachrütteln.“

Eine Frau mit viel Erfahrung

Sahle-Work ist derzeit das einzige weibliche Staatsoberhaupt Afrikas. Ohnehin gab es davon bisher nur drei seit der Entkolonialisierung des Kontinents.   Die Berufsdiplomatin ist in ihrer Heimat keine Unbekannte. Nach dem Studium der Naturwissenschaften im französischen Montpellier diente Sahle-Work zunächst als Botschafterin in Dschibuti, dem Senegal und in Frankreich. Später wurde sie an die Vereinten Nationen „ausgeliehen“, für die sie erst als Krisenmanagerin in der Zentralafrikanischen Republik, dann als Verbindungsfrau zur Afrikanischen Union tätig war.

Mangelnde politische Erfahrung wird man der attraktiven graumelierten Großmutter also nicht vorwerfen können.   Einmal mehr wird sie sich allerdings dagegen wehren müssen, im Schatten eines Mannes zu stehen: Denn ihre Berufung wird allgemein Premierminister Abiy zugeschrieben. Der gilt vielen als „äthiopischer Gorbatschow“ und hatte erst vor zwei Wochen wieder für Schlagzeilen gesorgt: zehn der zwanzig Sitze seines Kabinetts besetzte er mit Frauen. Sowohl das Verteidigungs- wie das in Friedensministerium umbenannte Portfolio für die Polizei und den Geheimdienst werden inzwischen von Frauen geführt: Eine Sensation in dem hochmilitarisierten Staat, der noch bis vor kurzem in kalte wie heiße Kriege verwickelt war.

Für den Regierungschef steht viel auf dem Spiel

  Innerhalb eines halben Jahres krempelte Abiy das autoritär geführte Äthiopien um: Er beendete den kalten Krieg mit dem Bruderstaat Eritrea, entließ Tausende von politischen Gefangene und entfesselte die vom Staat strangulierte Wirtschaft. Seine Radikalreform rief schnell auch Feinde auf den Plan: Abiy überlebte ein Attentat und musste sich meuternden Soldaten erwehren. Dass er den bisherigen Präsidenten Mulatu Teshome nun zum Rücktritt bewegte, ist innenpolitischen Zwängen geschuldet: Abiy braucht politische Freunde wie Sahle-Work Zewde, die seinen Reformkurs unterstützen. „Ich bin ein Produkt der Menschen, die in diesem Land für Gleichheit und politische Freiheit gefochten haben“, bestätigte ihn die neue Präsidentin in ihrer Antrittsrede: „Daran werde ich auch weiterhin hart arbeiten.“