In Leonberg gibt es zum Jahreswechsel womöglich nur noch eine Kinderärztin. Die Versorgungslage ist dramatisch. Eine Klinik-Ambulanz könnte Eltern helfen. Aber kommt diese auch?
Die gute Nachricht zuerst: Von Januar 2026 wird es in Renningen wieder eine Kinderarztpraxis geben. Bürgermeisterin Melanie Hettmer, im vergangenen Dezember ins Amt gekommen, hatte das Thema von Anfang zur Chefsache erklärt und zahlreiche potenzielle Räumlichkeiten in Renningen besichtigt.
Kinderarztpraxis eröffnet Dependance in Renningen
Die entscheidende Wendung kam, als die früheren Praxisräume von Dr. Plieninger in den Fokus rückten. Diese waren inzwischen zu einer Wohnung umgebaut und zum Verkauf vorgesehen. Doch wäre eine Kinderarztpraxis hier nicht sehr viel besser aufgehoben? Melanie Hettmer hatte zwischenzeitlich Kontakte zu Thomas Kirchner und Thomas Schwab geknüpft, die gemeinsam eine Kinderarztpraxis in Weil der Stadt führen. Nach einem Besichtigungstermin war für die beide Mediziner klar: Wir eröffnen eine Dependance in Renningen.
Bald auch in Leonberg nur noch eine Kinderarztpraxis?
Doch nicht überall sind die Perspektiven so positiv wie in Renningen. Selbst in Leonberg könnte es bald nur noch eine Anlaufstelle für Kinder- und Jugendkrankheiten geben, wenn Mechthild Dahlhausen und Thomas Fischer ihre Gemeinschaftspraxis in der Römerstraße schließen. Danach ist nach jetzigem Stand lediglich die Praxis „Leokids“ der Fachärztin Thora Goldstein in der Eltinger Straße geöffnet. Der designierte Oberbürgermeister Tobias Degode weiß, dass dieses Thema gleich zu Beginn seiner Amtszeit am 1. Dezember keinen Aufschub dulden wird.
In fast allen Kommunen ist der Mangel an Kinderärzten ein großes Problem: Wenn es nach dem Landkreis geht, könnte am Krankenhaus Böblingen mit einer Institutsambulanz ein zusätzliches, kinderärztliches Angebot eingerichtet werden. Damit sollen niedergelassene Ärzte, der Ärztliche Bereitschaftsdienst und die Notaufnahme entlastet werden.
Ärztemangel: Landrat Roland Bernhard schlägt Alarm
In einem Positionspapier macht der Landkreis die Notwendigkeit einer Ambulanz deutlich: „Eine Institutsambulanz würde nicht nur die ambulante Versorgung entlasten, sondern auch eine bessere Nachsorge, Diagnostik und Versorgung komplexer Fälle ermöglichen.“ Zur Versorgungslage heißt es weiter: „Derzeit sind zweieinhalb Kinderarztsitze vakant. Da in den nächsten Jahren elf Kinderärzte voraussichtlich ihre Praxis schließen werden, ist die Lage besorgniserregend.“ Bereits jetzt heiße das, dass Familien lange warten und auf Bereitschaftsdienst und Notaufnahmen ausweichen müssten. Deshalb sagt auch Landrat Roland Bernhard: „Die Not ist groß, auch weil es eine Unwucht im Kreis gibt. Eine Institutsambulanz könnte Abhilfe schaffen.“
Die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) jedenfalls spricht nicht von einer Unterversorgung. Auf den ganzen Kreis gerechnet gibt es mit einem Wert von 101,4 Prozent formal sogar eine kinderärztliche Überversorgung. Es drohe auch keine Unterversorgung, so der KVBW. Dennoch räumt die KVBW auf Anfrage ein: „Die Bedarfsplanung hat nur einen begrenzten Aussagewert über die reale oder real empfundene Versorgungssituation vor Ort.“ Sie diene für den Gesetzgeber dazu, die Zahl der ambulant arbeitenden Ärztinnen und Ärzte aus Kostengründen zu begrenzen, so die KVBW weiter.
Kinder könnten ambulant in der Klinik behandelt werden
Der Klinikverbund Südwest (KVSW) wäre als Betreiber der Institutsambulanz vorgesehen. Auf Anfrage erklärt der KVSW: „Eine Institutsambulanz würde in enger Anbindung an die Kinderklinik entstehen.“ Die Zahl des einzuplanenden Fachpersonals kann der Klinikverbund noch nicht mitteilen, wie eine Sprecherin schreibt: „Wie viel Personal benötigt wird, hängt vom endgültigen Umfang des Angebots ab.“ Wenn die Zustimmung käme und man sich einig werde, wäre eine baldige Umsetzung aber durchaus möglich: „Für uns wäre ein zeitnaher Start in kleinerem Rahmen denkbar – mit der Möglichkeit, das Angebot auszubauen.“
Ob der Klinikverbund diese sogenannte Institutsambulanzermächtigung erhält, hängt von mehreren Entscheidungsträgern ab – nicht nur von der Kassenärztlichen Vereinigung. Grundsätzlich bestehe die Möglichkeit einer Ermächtigung. Auf Anfrage sagt die KVBW im Hinblick auf den konkreten Vorschlag: „Da es sich um einen sehr eingeschränkten Personenkreis handelt, der einer spezialisierten Behandlung bedarf, halten wir die Regelung einer Institutsambulanz für zielführend.“ Eine entsprechende Anfrage hat die KVBW aber noch nicht erhalten: „Aktuell liegt kein Antrag der Klinik auf Genehmigung beziehungsweise Ermächtigung einer Institutsambulanz vor.“
Stadt Sindelfingen forciert Ärzteansiedlung
Ähnlich dem Vorstoß des Landkreises hat auch die Stadt Sindelfingen zuletzt ihre Bemühungen verstärkt, die Ansiedlung von Kinderärzten zu fördern. In Kooperation mit dem Klinikverbund soll am Krankenhaus Sindelfingen ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit pädiatrischer Ausrichtung entstehen. Pädiater, die sich in Sindelfingen niederlassen, können mit einem Zuschuss von 100 000 Euro rechnen.
Kinderärzteversorgung im Kreis
Anzahl
Laut Kassenärztlicher Vereinigung arbeiten 33 zugelassene und angestellte Ärztinnen und Ärzte als Pädiater im Kreis Böblingen. Ein Drittel von ihnen ist 60 Jahre oder älter. Junge Kinderärzte zwischen 28 und 39 Jahren führt die KV für den Kreis Böblingen keinen einzigen.
Maßnahmen
Beim Kinderarztgipfel am 16. Juli kamen unterschiedliche Akteure aus dem Kreis zusammen, um Lösungen für die Versorgungskrise zu diskutieren. Dabei wurden unter anderem Attraktivierungsmaßnahmen für Mediziner, die in den Kreis kommen, eine bessere Gesundheitsbildung von Eltern oder ein Speed-Dating zwischen Medizinstudenten und niedergelassenen Ärzten ausgemacht.