Hausärztin Friederike Schalhorn (Mitte) aus Birenbach nimmt an einem Projekt zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung teil. Sie sieht in dem Modell, Pflegefachpersonal zu integrieren, viele Vorteile. Foto: Giacinto Carlucci

Es fehlen 44 Hausärzte im Kreis Göppingen. Mit einem Projekt will die Kassenärztliche Vereinigung gegensteuern. Die Praxis im kleinen Dorf Birenbach ist eine von 20, die im Land ausgewählt wurden.

Verbände wechseln, Blutzucker einstellen, Beratung von Angehörigen, Sturzprophylaxe, Präventionsarbeit, zeitintensive Hausbesuche: Nicht immer ist ein Arzt gefragt, wenn es um Medizin geht. Da in vielen, meist ländlichen Regionen die hausärztliche Versorgung gefährdet ist, geht die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) neue Wege: Sie hat Anfang des Jahres ein Projekt gestartet, das darauf abzielt, speziell ausgebildete Fachkräfte in den Praxisalltag zu integrieren, die nicht-ärztliche Aufgaben übernehmen. Die Mediziner selbst sollen so mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe haben, also Krankheiten erkennen und heilen, und dadurch mehr Patienten behandeln können.​

 

20 Praxen in Baden-Württemberg machen bei diesem Projekt mit. Eine davon ist die von Friederike Schalhorn im knapp 2000 Einwohner zählenden Birenbach. Die Bewerbung auf die KV-Ausschreibung sei für sie ein logischer Schritt gewesen, zumal sie bereits seit 2022 eine Pflegefachfrau (früher Krankenschwester) in ihrem Team hat, die durch ihre Qualifikation viele pflegerische Aufgaben übernehmen könne. Die 40 Jahre alte Ärztin, die seit 2024 eine weitere Praxis in Göppingen betreibt, sieht in dem Modell viele Vorteile: Durch den Wegfall von Routineaufgaben hätten die Hausärzte mehr Kapazitäten, einerseits für die Erst- und Grundversorgung, aber auch für die Behandlung schwieriger medizinischer Fälle. „Und wir nehmen auch neue Patienten auf“, sagt Schalhorn. Beispielsweise die des Börtlinger Landarztes Winfried Boy, der nach 35 Jahren als Landarzt in dem Schurwalddorf seine Praxis abgeben will und bisher keinen Nachfolger findet.

Viele Hausarztpraxen sind völlig überlastet

​Zudem sieht Schalhorn in dem Projekt die Chance, dass weniger Menschen Kliniken aufsuchen und die Notfallversorgung in Anspruch nehmen wegen pflegerischer Tätigkeiten, die problemlos zu Hause erledigt werden können. „Es geht darum, wie wir auf die Veränderungen reagieren und so mehr Patienten versorgen können, denn die sind ja nun mal da und der Landkreis ist maximal unterversorgt, was Hausärzte betrifft“, fasst die Medizinerin zusammen. Sie begleitet das Projekt in doppelter Mission: einerseits als teilnehmende Hausärztin, andererseits als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung am Universitätsklinikum Tübingen.​

Marc Lux, Vorsitzender der Kreisärzteschaft und selbst Hausarzt in Heiningen, ist überzeugt von dieser Entwicklung: „Das ist für mich eigentlich die Zukunft“, sagt er. Nur durch die Integration von anderen, qualifizierten Pflegefachkräften könne die hausärztliche Versorgung sichergestellt werden – auch vor dem Hintergrund, dass es immer mehr ältere Menschen gibt und viele Hausärzte auch Senioren in Pflegeheimen betreuen. 44 Hausarztsitze im Kreis Göppingen seien derzeit nicht besetzt und viele Praxen völlig überlastet.

Wie können Fachangestellte den Hausarzt entlasten?

Lux und Schalhorn sind überzeugt, dass das Einbinden von Pflegefachkräften in Hausarztpraxen auch für die Mitarbeitenden selbst Vorteile biete: kein Schichtbetrieb wie in der Klinik, keine Wochenend- und Nachtdienste, ein festes Team, eine enge Patientenbindung. Reißt das aber nicht im Wettbewerb um Fachkräfte wiederum eine Lücke in den Krankenhäusern? Die Ärztin aus Birenbach verneint dies: „Es ist besser, die Leute im System zu behalten, als wenn sie dem Beruf komplett den Rücken kehren.“​

Lux sieht das genauso. Letztlich gehe es darum, nach internationalem Vorbild eine „Zwischenebene“ zwischen Arzt und medizinischer Fachangestellten zu etablieren – Kräfte, die durch zusätzliche Qualifikationen den Hausarzt entlasten, selbstständig unterwegs sein und auch eine medizinische Ersteinschätzung abgeben können. „Damit können wir die Menschen toll versorgen“, ist der überzeugt.

Der Kreisärztechef hat einen Wunsch: „Wir haben die Hoffnung, im oberen Filstal so eine Gruppe von Motivierten zu finden, auch um ehemalige Pflegekräfte der Helfenstein-Klinik andocken zu können.“ Entscheidend werde es sein, dass eine bessere Entlohnung höher qualifizierter Mitarbeiter in den Praxen von den Kostenträgern gegenfinanziert werde.​