Es gibt zu wenig Ärzte. Das steigert die Chance von Bewerbern auf ihren Wunschjob enorm.

Stuttgart - Aus Arbeitnehmersicht sind es traumhafte Verhältnisse: Bereits seit Jahren gilt der Arzt als Mangelberuf, und alle Beobachter gehen davon aus, dass sich die Situation in der kommenden Zeit weiter zuspitzen wird. So beziffert eine gemeinsame Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers und des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifor, deren Ergebnisse im vergangenen Oktober veröffentlicht wurden, die Zahl der 2020 fehlenden Ärzte auf fast 56.000. „Wir haben einen allgemeinen Ärztemangel”, sagt Magdalena Benemann, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, „das beginnt bereits bei Assistenz- und Facharztstellen und zieht sich quer durch alle Fachgebiete.”

Auch Wolfgang Martin, Geschäftsführer der auf Ärzte spezialisierten Personal- und Karriereberatung Mainmedico, bestätigt, dass es kein Fachgebiet mehr gibt, „wo die Situation noch entspannt ist”. Werte man die Stellenanzeigen im „Deutschen Ärzteblatt” aus, ergäben sich jedoch Fachgebiete, in denen der Mangel besonders groß sei: „Dazu gehören die Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie die Gefäßchirurgie.” In diesen Fachgebieten seien auch die Weiterbildungskapazitäten einfach zu gering, um den Bedarf zu decken.

Ende 2010 waren es 191.800 Ärzte

Laut der Bundesärztekammer gab es Ende vergangenen Jahres 333.600 berufstätige Ärzte in Deutschland, rund 163.600 von ihnen arbeiteten in Krankenhäusern. Sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind laut der Bundesagentur für Arbeit Ende 2010 191.800 Ärzte gewesen. Die Arbeitslosenquote sank im Jahresdurchschnitt nochmals um fünf Prozent gegenüber dem Niveau von 2009 und lag damit bei 1,3 Prozent. So etwas nennt man Vollbeschäftigung. „Anders als beispielsweise in den Ingenieurberufen gibt es zudem keine große Zahl an arbeitslosen älteren Fachärzten, die man für den Arbeitsmarkt versuchen könnte zu reaktivieren”, sagt Martin.

Diese Situation spüren die Arbeitgeber - Kliniken, Krankenhäuser und Medizinische Versorgungszentren - natürlich auch. „Wobei Unikliniken für gewöhnlich noch immer mehr Bewerbungen auf eine ausgeschriebene Stelle bekommen als zum Beispiel Krankenhäuser, die womöglich sogar noch in ländlichen Regionen liegen”, sagt Benemann. „Vor allem bei Assistenz- und Facharztstellen steht allein die fachliche Qualifikation des Bewerbers im Vordergrund, ab der Position Oberarzt spielen dann auch in zunehmendem Maße Führungsqualitäten sowie organisatorische und betriebswirtschaftliche Erfahrungen eine Rolle.”

Was weiche Faktoren betrifft, drückt die Klinik schon mal ein Auge zu

Wobei sich da laut Peter Scheinhardt durchaus schon bemerkbar macht, wie groß der Besetzungszwang ist: „Stimmt die fachliche Qualifikation und muss die Stelle dringend besetzt werden, drückt die Klinikleitung schon mal ein Auge zu, was die weichen Faktoren betrifft”, sagt der Inhaber der auf Ärzte spezialisierten Personalberatung HMC Group Health. „Ansonsten muss ein Bewerber natürlich ins Team passen, kommunikativ sein und mit dem Chefarzt klarkommen.” Eine Altersgrenze als Ausschlusskriterium gibt es dagegen - schlüssige Lebensläufe vorausgesetzt - in Folge des Bewerbermangels keine.

Martin weist darauf hin, dass für einen Bewerber die Spezialisierung der jeweiligen Klinik ein wichtiges Auswahlkriterium ist. „Da alle Krankenhäuser angesichts des steigenden Wettbewerbsdrucks ihr Profil schärfen müssen, weiten sie in der Regel ihr Leistungsspektrum aus und bauen zusätzliche Schwerpunkte auf. Hierfür benötigen sie die entsprechenden Spezialisten, die aber zunehmend knapper werden.”

Berufsanfänger verdienen zwischen 47.000 und 58.000 Euro

Das Einkommen ist dagegen, gerade am Anfang der beruflichen Karriere, kein echtes Entscheidungskriterium für Bewerber. Denn die Mehrheit der angestellten Ärzte unterliegt in Deutschland Tarifverträgen, deren untere Gehaltsstufen sich nicht sonderlich unterscheiden. Berufsanfänger verdienen laut dem Deutschen Krankenhaus Institut zwischen 47.000 und 58.000 Euro brutto, mit drei bis fünf Jahren Berufserfahrung liegen die tariflichen Jahresgehälter zwischen 53.000 und 69.000 Euro.

Die Personalberatung Kienbaum siedelt das durchschnittliche Einkommen eines Arztes in Weiterbildung an Krankenhäusern bei 64 000 Euro pro Jahr an, das eines Facharztes mit 82 000 Euro. Oberärzte kommen im Schnitt auf 107 000 Euro, Chefärzte auf 196 000 Euro. Viele Fachärzte bekommen eine Position als Oberarzt fast automatisch nach einigen Jahren beruflicher Tätigkeit angeboten.

„Ärzte haben aufgrund der sehr guten Arbeitsmarktbedingungen die Chance, eine planmäßige Karriereentwicklung zu betreiben”, sagt Peter Scheinhardt. „Ein Bewerber kann sich bei entsprechender Mobilität die Kliniken nach seinen fachlichen Interessen aussuchen und sogar den Chefarzt.” Allerdings denken nach Scheinhardts Erfahrung so nur wenige: Sie steckten im Trott der Schicht- und Bereitschaftsdienste fest. „Kommt ein Arzt dann nach 36 Stunden nach Hause, ist es zugegebenermaßen schwierig, Eigeninitiative zu zeigen.” Vielen Ärzten sei gar nicht bewusst, wie sehr sie ihren Berufsweg heute selbst in der Hand hätten, findet Scheinhardt.