Der Böblinger Festivalleiter Ulrich Köppen (links) mit Jacob Leuschner, dem Leiter des Brahms-Klavierwettbewerbs Detmold und der Pianistin Fuko Ishii, die dort bei dem Wettbewerb 2019 den ersten Preis gewonnen hat. Foto: HfM Detmold/Plettenberg

Ein „normales Pianistenfestival“ hatten sich die Organisatoren der traditionsreichen Böblinger Klassikreihe erhofft – mit voll besetzten Reihen und einer weitgehenden Lockerung der Corona-Regeln. Die Entwicklung der Pandemiesituation hat diese Hoffnung zunichte gemacht. Das Festival muss verschoben werden.

Böblingen - „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, lautet die Redensart. Wer dagegen stets als erstes daran glauben muss, das dürfte nach bald zwei Jahren Pandemieerfahrung allmählich vielen Veranstaltern klar geworden sein: Es ist die Kultur. Das zeigt sich nun ein weiteres Mal am Beispiel des Böblinger Pianistenfestivals in der Kongresshalle.

Dabei war die traditionsreiche und prestigeträchtige Klassikreihe Anfang 2020 gerade noch an einer Absage vorbeigeschrammt. Der Lockdown kam erst Mitte März, einen Monat nach dem Abschlusskonzert. Ein Jahr später, im Januar 2021, durchkreuzte der zweite Lockdown dann aber die Pläne der Organisatoren. Erst nach zweimaligem Verschieben konnte das Festival im Sommer stattfinden – wenngleich unter strikten Auflagen und mit reduzierter Zuschauerzahl.

Unmut über Vorgehen der Politik

Im Jahr 2022 sollte alles wieder besser werden. Ein „normales Festival“ hatten der künstlerische Leiter Ulrich Köppen und Böblingens Kulturamtsleiter Peter Conzelmann angekündigt – in der hoffnungsvollen Annahme, dass bis zum Beginn der Konzertreihe am 7. Januar wieder eine Vollbesetzung des Württembergsaals möglich wäre. Wenige Wochen nachdem die beiden das Programm und die Konzerttermine der Presse vorgestellt haben, ist diese Hoffnung bereits wieder passé. Unmut gibt es deswegen insbesondere mit Blick auf das zum Teil planlos anmutende Vorgehen der Politik.

„Nach Abwägung aller Argumente haben Peter Conzelmann und ich uns schweren Herzens dazu entschlossen, dass wir das Internationale Pianistenfestival ins späte Frühjahr 2022 verlegen,“ kommentiert Ulrich Köppen die Situation. „Wir fühlen mit unserem begeisterungsfähigen Publikum, was sich sicher auf viele neue Programmaspekte gefreut hat“, sagt Köppen, der für die Konzertreihe wieder einmal eine ganze Reihe spannender Musiktalente gewinnen konnte – darunter zum Beispiel die gebürtige Japanerin Fuko Ishii, die vor zwei Jahren beim Brahms-Klavierwettbewerb in Detmold den ersten Preis gewonnen hat. Das Böblinger Pianistenfestival ist zuletzt mit dem Brahms-Wettbewerb eine vielversprechende Partnerschaft eingegangen. „Wir fühlen vor allem mit den Künstlern, die sich alle darauf gefreut haben, in Böblingen zu spielen“, verweist Ulrich Köppen unter anderem auf den Brasilianer Ronaldo Rolim und den Südkoreaner Jong Hai Park. Beide waren bereits für 2021 gebucht. Weil sie damals pandemiebedingt nicht anreisen konnten, sollten sie ihre Auftritte jetzt nachholen.

Entscheidungen ohne eindeutige Untersuchungsergebnisse

„Ich bin auch in Kontakt mit vielen anderen Konzertveranstaltern – nicht nur Klassik – und ich kann ebenso wie in anderen Branchen nicht verstehen, dass Entscheidungen offensichtlich ohne eindeutige Untersuchungsergebnisse getroffen werden“, kritisiert Köppen die Politik auf Landes- und Bundesebene. Dazu habe man zwei Jahre Zeit gehabt.

„Es hat etliche Versuche gegeben, Konzerte durchzuführen und auf ihre Gefährlichkeit zu prüfen“, benennt Köppen zum Beispiel das Konzerthaus Dortmund, das vor einigen Jahren neu gebaut wurde und über eine exzellente Belüftungsanlage verfüge. „Innerhalb von 20 Minuten wird hier die gesamte Innenluft abgesaugt. Es hat dort mit wissenschaftlicher Begleitung Konzerte mit halber Besatzung und Gesichtsmasken gegeben, in denen sich kein Mensch angesteckt hat.“ Gleiches gelte auch für die bayerische Staatsoper oder die Oper in Madrid. Wobei man bei den Opernaufführungen auf einen singenden Chor verzichtet habe.

Konzertbesuch im Regelwirrwarr mit Bordellbesuch gleichgesetzt

„Völlig unverständlich war für mich die Entscheidung, dass man in manchen Bereichen mit 2G operieren konnte, obwohl man sich dort unmittelbar gegenüber aufhält“, sagt Köppen. „Im Konzert sitzt man mit Abstand nebeneinander und spricht in der Regel nicht“, fügt er hinzu. „Für eine kurze Zeit war in diesem Regelwirrwarr der Besuch eines Konzertes mit der 2G-plus-Regel sogar gleichbedeutend mit dem Besuch im Bordell“, schüttelt er den Kopf, „man hat zwar rechtzeitig gegengesteuert, was aber auf die Verlegung des Pianisten-Festivals keine positiven Auswirkungen hatte.“

Ulrich Köppen ist dabei, mit allen Künstlern zu klären, ob bei den in den Sommer verschobenen Konzerttermine die geplanten Programme beibehalten werden können. Außerdem geht es um die Frage, ob die Mitwirkenden die Termine mit ihrer sonstigen Konzertplanung vereinbaren können. „Vielleicht muss in der Reihenfolge etwas vertauscht werden“, sagt der Festivalleiter.

Festivalmotto: „Junge Romantik“

Köppen hatte sich besonders gefreut, dass unter dem Stichwort „Junge Romantik“ Komponisten mit Werken ins Rampenlicht kommen sollten, die man im üblichen Konzertbetrieb kaum mit Klaviermusik in Verbindung bringt. Köppen: „Wir haben international eine Verengung auf immer dieselben Werke der Literatur, was aufgrund deren Qualität sicherlich gerechtfertigt ist. Ich verstehe meine Programmplanung stets so, dass wir auch kostbare Perlen aus den Schubladen holen, wo sie eigentlich nicht hingehören. Gerade Carl Maria von Weber, Louis Spohr und Felix Mendelssohn-Bartholdy waren nicht nur selber tolle Pianisten, sondern sie haben auch attraktive Werke für Klavier geschrieben.“ Gerade diese Kompositionen zeichnen sich nach Ansicht Köppens dadurch aus, dass sie von Charme und Fröhlichkeit geprägt sind.

Der Programmmacher appelliert an das Publikum im Interesse der Künstler, auch zu den neuen Terminen zu kommen: „Wenn von heute auf morgen quasi ein Berufsverbot ausgesprochen wird, ist das nicht nur finanziell problematisch, sondern auch betrüblich für die empfindsame Seele. Die Politiker scheinen dafür keine Empathie zu besitzen.“

Neue Termine und Internet-Videos

Programm
Die neuen Termine für das Pianistenfestival sind der 3., 10., 17. und 24. Juni sowie der 8. Juli 2022. Die für das Festival gebuchten Künstlerinnen und Künstler sind Fabian Müller, Ronaldo Rolim, Fuko Ishii und Jong Hai Park sowie Sebastian Manz (Klarinette) und Danae Dörken (Klavier), die den Kammermusikabend gestalten sollen. An welchen Terminen die einzelnen Auftritte jeweils genau stattfinden, müssen die Organisatoren noch abklären.

Vorverkauf
Karten sind bei der Kreiszeitung Böblinger Bote unter Telefon (0 70 31) 62 00 29 erhältlich. Mehr Infos unter www.pianistenfestival-bb.de im Netz

Üppiges Angebot
Wer sich die nun noch länger gewordene Wartezeit bis zum nächsten Pianistenfestival verkürzen möchte, hat dazu auf der Homepage der Stadt Böblingen die Gelegenheit. Dort sind die Böblinger Auftritte von mehr als 20 Künstlerinnen und Künstlern als Youtube-Video abrufbar – darunter Evgenija Rubinova, Jacob Leuschner, Jan Jiracek von Arnim, Honggi Kim, Alexandra Neumann und Eugene Mursky.

Online
Zu finden sind die Links zu den Videos zusammen mit Informationen zu den Pianistinnen und Pianisten unter www.boeblingen.de/start/FreizeitKultur/Pianistenfestival.html im Netz.