Nach 35 Jahren schließt Ishak Bardakcioglu aus Altersgründen seine Änderungsschneiderei in Ludwigsburg. Seine Erfahrung: Nachhaltigkeit spielt für seine Kunden eine immer größere Rolle.
Viele seiner Kunden sind traurig – nicht etwa, weil eine Naht nicht perfekt sitzt oder ein Hosenbein zu kurz geraten ist, sondern weil Ishak Bardakcioglu aufhört. Einer seiner Kunden sei sogar in Tränen ausgebrochen, als er von seiner Entscheidung erfahren habe, erzählt der Ludwigsburger. 35 Jahre lang hat der 72-Jährige eine Änderungsschneiderei in der Lindenstraße betrieben. Jetzt geht er in Rente.
Sein Geschäft hat er bereits leer geräumt. Sieben Nähmaschinen besaß er. Mit ihnen konnte er ganz verschiedene Stoffe bearbeiten. Leder, Jeans aber auch feine Materialien waren kein Problem. Eine letzte Kleiderstange, an der Klamotten hängen, erinnert noch daran, dass Bardakcioglu hier jahrelang Hosen gekürzt, Löcher geflickt und Kleidung enger genäht hat. Doch wenn bald die letzten Kunden ihre Stücke abgeholt haben, wird auch diese Kleiderstange weggeräumt.
Lernte seinen Beruf in der Türkei
Sein Handwerk lernte Bardakcioglu in Midyat in der Türkei. Seit Vater wollte eigentlich, dass er Friseur wird. Er hatte aber andere Pläne. Er wollte Nähen lernen. Als 13-Jähriger schaute er einem Schneider im Ort über die Schulter.
1971 kam er nach Deutschland und fing in einer Schuhfabrik in Möglingen an zu arbeiten. Später wechselte er zu einer Fabrik für Damenmäntel in Markgröningen. Danach war Bardakcioglu 16 Jahre lang beim Gewürzhersteller Gewürzmüller in Ditzingen tätig. Schließlich kehrte er an die Nähmaschine zurück und wagte vor 35 Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit. „Mein erster Laden war nur wenige Meter entfernt“, erinnert sich Bardakcioglu. Nach elf Jahren zog er um und eröffnete die Änderungsschneiderei in der Lindenstraße.
Immer mehr Kunden in den vergangenen Jahren
An Arbeit hat es dem Schneider nie gemangelt. „Manchmal war es fast zu viel“, erinnert sich Bardakcioglu. Menschen, die im Alter kleiner geworden waren, brachten ihm ihre Hosen zum Kürzen, andere ihre Kleider, die zu weit waren oder Löcher bekommen hatten. Eine Hose hat er einmal sogar sechs Mal geflickt. „Der Kunde wollte sie einfach nicht wegwerfen“, erinnert sich der 72-Jährige.
In den vergangenen Jahren hätten auch immer mehr junge Menschen seine Dienste in Anspruch genommen, erzählt der Schneider. Auch aus Gründen der Nachhaltigkeit. Wenn etwas nicht mehr passte, ließen sie das Kleidungsstück ändern. Hatte das Lieblingsteil ein Loch,wurde es geflickt, damit es nicht in der Tonne landet.
Lkw-Ladung an Kleidung auf dem Müll
Ein Gegentrend zu Fast Fashion. Durchschnittlich kaufen die Deutschen etwa 60 Kleidungsstücke pro Jahr, berichtet das Bundesministerium für Umwelt und Nachhaltigkeit. Kein Wunder: Chinesische Onlinehändler locken mit günstigen Preisen. Für nur 1 bis 3 Euro gibt es schon T-Shirts zu kaufen. Das heizt die Nachfrage an.
Jede zweite Luftfracht aus China besteht inzwischen aus Kleidung. Jedes fünfte Kleidungsstück liegt davon ungetragen im Schrank, viele andere landen schnell im Müll. Laut Greenpeace wird jede Sekunde eine Lastwagen-Ladung an Kleidung weltweit entsorgt. Die Müllberge auf den Deponien werden immer höher. Häufig wird die alte Kleidung verbrannt – auch das schadet der Umwelt.
Es gibt immer mehr Änderungsschneider
Auch die Kunden von Bardakcioglu sind sich dessen bewusst, weiß der 72-Jährige. Nachhaltigkeit werde für viele immer wichtiger. Statt Kleidung wegzuwerfen und neu zu kaufen, wollen sie ihre Stücke lange nutzen.
Und das können sie weiterhin, beruhigt Bardakcioglu. „Als ich ankündigte, dass ich mein Geschäft schließe, fragten viele besorgt, wo sie künftig hingehen sollen“, erzählt er. „Aber Änderungsschneider werden immer mehr.“ Allein in seiner Straße gebe es drei weitere.