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Alle reden über Flucht: Warum eine Single-Online-Börse von Asylpolitik auf Liebe kommt und was das Stuttgarter Adressbuch von 1867 über frühere Wirtschaftsflüchtlinge verrät.

Stuttgart - Wo man auch hinkommt in diesen Tagen, ein Thema ist immer schon da. Flüchtlinge. Die Debatte wird immer schärfer. Da überrascht es nicht, dass Flüchtlinge nun auch noch den Kopf hinhalten müssen für Werbung. Denn mit Flüchtlingen sorgt man immer für Gesprächsstoff.

Bestimmt dauert es nicht mehr lange, bis Bäcker die jeweilige Zielgruppe bedienen: Den Stammtisch-Laib gibt’s für die, die sich von Flüchtlingen bedroht fühlen. Und den Til-Schweiger-Zopf für die Hilfsbereiten. So weit sind wir zum Glück noch nicht. Aber es gibt eine Partnervermittlung im Internet, die auf Flüchtlinge setzt, um Mitglieder zu gewinnen.

In der Liebesanbahnungsbranche ist es üblich, dass Institute von Zeit zu Zeit Studien an die Medien verschicken, um in den redaktionellen Teil zu kommen. Auf diese Weise haben wir beispielsweise etwas über das Verhalten von Fremdgehern erfahren. Jetzt soll die Einstellung zur Flüchtlingsfrage verraten, was für ein Mensch man ist. Die besagte Single-Börse kommt nach einer Mitgliedsbefragung zu diesem Schluss: „Je positiver die Frauen und Männer ihre eigenen Liebeserfahrungen erlebten, desto offener und hilfsbereiter waren sie gegenüber Flüchtlingen. Je frustrierter sie in der Liebe waren, desto negativer waren sie gegenüber Fremden eingestellt und desto mehr plädierten sie für eine harte Gangart in der Asylpolitik.“

Frust macht kaltherzig

Wir hatten es geahnt: Wer Frust schiebt, kann einen Sündenbock gut gebrauchen, an dem er den Ärger mit sich selbst ablässt. Frust macht demnach kaltherzig. Wer indes liebesfähig und zufrieden ist, begegnet Fremden freundlich. Für ihn ist das zufällige Glück, in einem reichen Land geboren zu sein, eine Verantwortung. Ja, so einfach ist die Lösung der Probleme: Liebt mehr, aber heftig!

In Stuttgart, dies haben wir erst vor wenigen Tagen erfahren, leben besonders viele zufriedene Menschen, die ihre Stadt mehr lieben, als in anderen Bundesländern üblich. Obwohl durch diese Stadt wegen eines Bahnhofs ein tiefer Riss geht. Wie es aussieht, spaltet noch ein weiteres Thema Stuttgart in zwei Lagern.

In Nebenhallen der Schleyerhalle sind seit dem vergangenen Wochenende Flüchtlinge untergebracht – also in einem Areal, in dem ausländische Menschen seit vielen Jahren bejubelt werden. Denken wir nur an Tina Turner, Placido Domingo, Saga, Robbie Williams oder Foreigner.

Schwaben waren Wirtschaftsflüchtlinge

„Gegen politische Flüchtlinge habe ich nichts“, hört man immer wieder. Aber es seien halt so viele Wirtschaftsflüchtlinge darunter. Damit kennt man sich in Stuttgart bestens aus. Schon vor knapp 150 Jahren gab es sehr viele bei uns. Es waren vor allem Schwaben.

Ein Leser hat das Stuttgarter Adressbuch von 1867 geschickt – eine spannende Lektüre! Am Ende des Buches findet man mehrere Seiten mit Anzeigen. Nein, es sind keine Schleuser, die damals inseriert haben, es waren rechtschaffene Agenturen, die ihre Dienste bei Auswanderungen anboten. Bei Frank & Schäffer, den königlichen Hofspediteuren an der Gerberstraße  9, konnte man die Umsiedlung nach Nord- und Südamerika oder nach Australien mittels Dampfschiffen und Dreimastern buchen. Denn in Württemberg gab es nicht genügend Arbeit. Nun wurden Menschen ins Ungewisse gelockt. Bei der Überfahrt sind viele ertrunken.

Im Buch von 1867 ist nicht vermerkt, ob die deutschen Wirtschaftsflüchtlinge in Amerika mit Liebe oder Frust empfangen wurden. Den Vereinigten Staaten hat die Massenmigration des 19. Jahrhunderts jedenfalls nicht geschadet