IHK-Präsident Herbert Müller übt Kritik am achtjährigen Gymnasium: Weil der Bildungsplan so voll gestopft sei, bleibe kein Freiraum, um selbstständiges Arbeiten und Teamfähigkeit zu lernen. Foto: dpa

Unternehmerverband fordert mehr Lehrerstellen und bessere Aufteilung des Unterrichtsstoffs.

Stuttgart - Noch drücken die ersten Abiturienten des achtjährigen Gymnasiums die Schulbank. Aber schon jetzt IHK-Präsident Herbert Müller übt Kritik: Weil der Bildungsplan so voll gestopft sei, bleibe kein Freiraum, um selbstständiges Arbeiten und Teamfähigkeit zu lernen.

Zu viel Unterrichtsstoff in zu kurzer Zeit und dazu keine vernünftige Entrümpelung des Lehrplans: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart kritisiert den verkürzten G8-Zug an den Gymnasien. "In der Wirtschaft ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten", sagte Herbert Müller, Präsident der IHK Region Stuttgart. Man habe erkannt: "So lange man den gleichen Stoff in acht Jahren unterrichtet, kann das nicht funktionieren."

Eine Entschlackung des Bildungsplans an Gymnasien ist für die Wirtschaft deshalb so wichtig, weil gut qualifizierte Fach- und Führungskräfte eigenverantwortlich denken und handeln können müssen. Sind die Schüler mit Auswendiglernen beschäftigt, so G8-Kritiker, bleibt zwangsläufig die Entwicklung von selbstständigem Arbeiten aber auch der sozialen Kompetenz wie Teamfähigkeit auf der Strecke. Dafür benötigen junge Menschen Zeit, die sie durch die bessere Verteilung des Unterrichtsstoffes erhalten.

Kritik überrascht

Dennoch überrascht die Kritik von IHK-Präsident Herbert Müller am achtjährigen Gymnasium zu diesem frühen Zeitpunkt. Denn die ersten G8-Abiturienten verlassen erst im kommenden Jahr die Schulen. Erfahrungen mit Absolventen gibt es also noch keine. Zudem gab das Kultusministerium erst in der vergangenen Woche bekannt, dass die Leistungsunterschiede zwischen den G8- und den G9-Schülern weiter geschrumpft seien. Seit einem Jahr werden die letzten G9- und die ersten G8-Schüler in einer Jahrgangsstufe gemeinsam unterrichtet. Außerdem war es die IHK selbst, die bis zur Einführung des Turbo-Abiturs im Jahr 2004 jahrelang kürzere Schulzeiten gefordert hat.

Martin Frädrich, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der IHK, konkretisiert deshalb die Kritik: "Eine Ernüchterung hat insofern statt gefunden, dass die Einführung nicht auf Knopfdruck geklappt hat." Viele Schulen hätten im Bildungsplan keine Freiräume geschaffen. Grundlage für diese Kritik seien vor allem die Äußerungen von Eltern. Klar sei: "Wir wollen nicht zurück zu den 13 Schuljahren." Mit solch einer Forderung würden die ersten Erfolge von G8 wieder zerstört. Man bleibe dabei, dass man sich an den zwölf Jahren orientiere, die ein Schüler im internationalen Vergleich bis zum Abschluss benötige.

IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter bestätigt das und sagt: "Es würde mich überraschen, wenn die neue Landesregierung wieder zum neunjährigen Gymnasium wechseln würde." Entscheidend sei, dass die acht Jahre auf dem Gymnasium möglichst qualifizierend genutzt werden. Dazu gehöre auch das Thema Berufswahl der Jugendlichen. Denn je jünger die Schüler am Ende ihrer Ausbildung seien, desto seltener wüssten sie ganz genau, welche Ausbildung oder welches Studium sie machen wollen.

Trumpf liegt in den Lehrerstellen

"Der demografische Wandel und die immer jünger werdenden Absolventen werfen viel mehr Fragen auf, als wir uns bislang vorstellen können", sagt Richter. Benötigt würden deshalb Rektoren und Lehrer, die mit hohem Engagement unterrichten. Wichtig sei auch den Schülern mehr Zeit zu geben und die Anzahl der Lehrerstellen zu erhöhen. "Der Trumpf liegt eigentlich in den Lehrerstellen", sagt Frädrich. "Aber das kostet natürlich alles sehr viel Geld."

Die IHK fordert deshalb vor allem Ganztagesschulen, mehr Lehrer und eine bessere Qualität des Unterrichts. Zudem müsse die frühkindliche Bildung weiter ausgebaut werden. Außerdem begrüßt sie den Aufbau von Gemeinschaftsschulen, den die grün-rote Landesregierung derzeit plant.

Gleichzeitig dürfe es aber nicht passieren, dass die vorhandenen Probleme vergessen werden. "Die Gemeinschaftsschule ist für Württemberg ein Experiment, ein Prestigeobjekt für die Landesregierung", sagt Frädrich. Man müsse darauf achten, dass nicht so viel Geld dafür ausgegeben werde. Die wichtige Frage sei: "Sind die Ressourcen wirklich gut angelegt oder sind die Akzente falsch gesetzt?" Auch deshalb sei eine Rückkehr zu G9 unmöglich, denn das würde wieder Ressourcen verschlingen.

Einen Konflikt sieht IHK-Präsident Müller zwischen den Forderungen nach mehr Bildungsausgaben und der Haushaltskonsolidierung. Aber: "Ein solider Haushalt ist genauso wichtig wie die Ganztagsschule." Deshalb sei seine Empfehlung eine Debatte über die Haushaltsstruktur. "Man wird nicht darum herum kommen zukünftig andere Prioritäten zu setzen", sagt Müller. Die Bildung dürfe dabei jedoch nicht zu kurz kommen. Vielmehr müsste geschaut werden, welche Subventionen wirklich notwendig seien und welche nicht. Klar sei: "Steuererhöhungen sind für die IHK der falsche Weg," sagt Müller.