Atakan Karazor treibt das Spiel des VfB Stuttgart jetzt von hinten an. Foto: Baumann

Beim VfB Stuttgart nimmt Atakan Karazor eine neue Rolle ein. Er wurde vom Mittelfeld- zum Abwehrspieler – was sich der Trainer Pellegrino Matarazzo nicht nur beim FC St. Pauli davon verspricht.

Stuttgart - Erinnern Sie sich noch? 1982 strahlte das Zweite Deutsche Fernsehen erstmals eine 13-teilige Serie aus, in der ein Jugendfußballer die Hauptfigur darstellte. Thomas Ohrner spielte das aufstrebende Talent mit der Wuschelmähne – der heute 54-Jährige war „Manni, der Libero“. Knapp 40 Jahre später gibt es beim VfB Stuttgart nun Ata, den Libero.

Atakan Karazor, den alle nur Ata nennen, nimmt unter dem neuen Trainer eine veränderte Rolle auf dem Feld ein. Pellegrino Matarazzo hat den Schlaks aus dem Mittelfeld in die Abwehr des Fußball-Zweitligisten zurückgezogen. Aus Mangel an personellen Alternativen, weil sich Holger Badstuber verletzt hat und Marcin Kaminski noch nicht fit ist, aber ebenso aus Kalkül. Der Chefcoach lässt hinten im fließenden Wechsel eine Dreier- und Viererkette praktizieren – und er hat schnell erkannt, dass er für den Spielaufbau einen Mann mit gutem Auge und sicherem Passspiel benötigt.

Große Vorbilder

Karazor bringt diese Qualitäten ein. „Er hat die nötige Ruhe an der Kugel, und er überblickt das Spiel“, sagt Matarazzo – was jedoch nicht nur daran liegt, dass der 23-Jährige über 1,90 Meter Körpergröße verfügt. Er sieht viele Aktionen voraus, ist mit seinen langen Beinen ein starker Balleroberer und in defensiven Kopfballduellen weiß er sich zu behaupten. „Viele der Eigenschaften, die ein alleiniger Sechser im Mittelfeld benötigt, sind auch auf der Position des Innenverteidigers von Nutzen“, sagt Sven Mislintat.

Auch deshalb hat ihn der Sportdirektor im vergangenen Sommer verpflichtet. Karazor ist flexibel. Gekommen ist er jedoch, um das Stuttgarter Spiel aus der Zentrale heraus zu ordnen, Defensive und Offensive auszubalancieren und den Spielrhythmus vorzugeben. Nach einem verheißungsvollen Start beim VfB hat er anschließend aber nicht mehr überzeugt. Tim Walter hielt dennoch an Karazor fest, und schnell war vom Lieblingsschüler des vor Kurzem entlassenen Trainers die Rede, weil sie sich vorher kannten.

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Die Wahrheit ist jedoch, dass die Stuttgarter erst Karazor und danach Walter von Holstein Kiel holten. Jetzt erinnert Mislintat beim Blick auf Karazor und dessen Interpretation der Rolle im Abwehrzentrum schmunzelnd an große Vorbilder. „Der gute alte Lothar Matthäus“ kommt dem Sportdirektor in den Sinn, da der deutsche Rekordnationalspieler sich in der Spätphase seiner Karriere aus dem defensiven Mittelfeld auf den Liberoposten zurückzog. Auch Matthias Sammer vollzog diesen Wandel, und Olaf Thon wurde gar aus der Position hinter den Spitzen nach hinten versetzt. Und selbst Franz Beckenbauer, der Kaiser, kam ursprünglich aus dem Mittelfeld und krönte den Libero mit seiner Eleganz und seinem Organisationssinn zur Königsposition in der Defensive.

Vom Mittelfeld in die Abwehr

Allerdings wurde der freie Mann hinter der Abwehr ja schon vor geraumer Zeit im modernen Fußball abgeschafft. Das ist in jedem Taktikbuch nachzulesen. Gelegentlich erfährt der Libero jedoch eine Renaissance, weil sich selbst Pep Guardiola schon genötigt sah, aus einem Mittelfeldstrategen einen Innenverteidiger zu modellieren. Beim FC Barcelona war es Javier Mascherano, beim FC Bayern mal Joshua Kimmich.

Einen wichtigen Part nimmt dieser Spielertyp in der Spieleröffnung ein – wie Karazor, der während der Vorrunde ein Problem offenbarte und am Ende nur noch auf der Bank saß: Wenn der Raum eng wurde und er unter Druck geriet, dann häuften sich die Fehlpässe. Rein statistisch können es zwar nicht viele gewesen sein, da Karazor eine Passquote von mehr als 90 Prozent aufweist, aber die Zuschauer nahmen ein ganz anderes Bild wahr. Sie sahen vor allem den Fehlpass, der den VfB häufig in Konter laufen ließ.

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Im Heimspiel gegen den 1. FC Heidenheim passierte dies nicht. Karazor agierte beim 3:0 mit einer Ausnahme – basierend auf einem kleinen Kommunikationsproblem mit Torhüter Gregor Kobel – umsichtig. „Er hat es gut gemacht, und die Wahrscheinlichkeit, dass er gegen den FC St. Pauli (Samstag, 13 Uhr) wieder in der Abwehr spielt, ist hoch“, sagt Matarazzo. Eine Zerreißprobe könnte dies für die Dreierkette werden. Denn in dem engen Stadion herrscht eine heiße Atmosphäre, und Karazor wird nicht so viel Raum und Zeit haben wie zuletzt. Zudem versteht die Elf von Jos Luhukay zu kontern – eine Herausforderung für Ata, den Libero.

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