Umstritten: Der schnelle Aufstieg Martin Selmayrs vom Kabinettschef des Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, zum Verwaltungschef der Kommission gefällt nicht allen. Foto: AP

Erstaunlich, was im Europäischen Parlament zum Aufreger wird. Die Berufung von Martin Selmayr zum Verwaltungschef der EU-Kommission taugt jedenfalls nicht dazu, meint StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart. - Was für ein Stürmchen im Wassergläschen! Da fühlt das Europäische Parlament dem für das gut 32 000-köpfige Personal der EU-Kommission zuständigen Kommissar Günther Oettinger auf den Zahn. Da wird in Teilen des Parlaments und in manchen Medien das große Wort „Vetternwirtschaft“ bemüht. Oder der Vorwurf eines deutschen „Staatsstreichs“ in Brüssel laut. Bloß weil Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker extrem zügig entschieden hat, dass sein deutscher Kabinettschef Martin Selmayr zum Generalsekretär und damit zum Chef dieser gut 32 000 Beschäftigten aufsteigen soll.

Angeblich zu raumgreifend

Bezeichnend ist: Gegen Selmayr wurden schon Klagen wegen seines angeblich allzu raumgreifenden Auftretens laut, Zweifel an seiner Befähigung zum neuen Amt hingegen nie. Belege für die steile These, er sei so etwas wie ein U-Boot des Kanzleramtes in Brüssel, fehlen ebenso.

Entlarvend ist: Um ihre wiederum unbewiesene Behauptung zu stützen, irgendwie stinke die Personalie Selmayr doch, greifen ihre Kritiker zu einem komplett an den Haaren herbeigezogenen Argument. Weil Juncker die EU-Kommissare vor vollendete Tatsachen gestellt und wohl kaum irgendwo um Rat nachgesucht hat, werde die Kluft zwischen EU-Bürokratie und EU-Bürgern größer.

Wo es an Bürgernähe mangelt

Das ist ein Witz, wie die hierzulande gängige Praxis zeigt. Oder kann sich jemand daran erinnern, dass es je der Bürgernähe geschadet hätte, dass der Ministerpräsident den Chef der Staatskanzlei beruft oder die Kanzlerin den Kanzleramtschef? Zweifel an seiner Bürgernähe weckt eher das EU-Parlament, wenn es im Plenum wortreich über Selbstverständlichkeiten debattiert, anstatt sich um Belange zu kümmern, die tatsächlich die meisten Bürger der Union bewegen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de