Wahlzettel und Umschläge für das türkische Referendum liegen in Stuttgart in einem Wahllokal auf einem Tisch. Foto: dpa

Zahlreiche Türken im Südwesten wollen ihre Stimme beim Verfassungsreferendum abgeben. Die Meinungen über das angestrebte Präsidialsystem gehen weit auseinander.

Stuttgart/Karlsruhe - Mit seiner Familie wartet Ali Tiras bereits eine halbe Stunde vor dem offiziellen Einlass vor dem türkischen Wahllokal in Stuttgart. Er steht ganz vorn in der Warteschlange und will beim Verfassungsreferendum mit einem Ja stimmen.

Seit Montag können rund 233 000 im Südwesten lebende Türken über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei abstimmen. Gewählt wird entweder in Stuttgart oder in Karlsruhe.

Rund 144 000 Wahlberechtigte hat das Generalkonsulat Stuttgart registriert. Weitere 89 000 sind bis zum 9. April in Karlsruhe aufgerufen, zur Urne zu gehen und über die Einführung des Präsidialsystems abzustimmen, durch das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht erhalten würde.

Letzterem widerspricht Tiras vehement. Für den 47-Jährigen steht fest: „Die neue Verfassung schafft eine neue Gewaltenteilung und macht Erdogan bei Verbrechen haftbar.“ Seiner Meinung nach ist Erdogan derzeit unangreifbar. Nur das neue Präsidialsystem könne etwas daran ändern, sagt er. Ähnlich sieht das sein 19 Jahre alter Sohn Abdurrahman: „Klar bekommt der Präsident mehr Macht, wird aber auch verletzlicher.“ Beide bekennen sich zu Erdogan, der zuletzt Deutschland und die Niederlande mit Nazi-Vergleichen überzogen hatte.

„Erdogan spaltet die ganze Welt“

Ganz anderer Meinung ist Muriye Acikgöz. „Erdogan spaltet nicht nur die Türkei, sondern auch die ganze Welt“, sagt die 37-Jährige. Es könne nicht sein, dass es nur einen Machthaber in der Türkei gebe. Acikgöz ist eine der wenigen kritischen Stimmen, die sich am Montag offen gegen Erdogan aussprechen. Seit Wochen berichten Gegner des Präsidialsystems von Einschüchterungsversuchen.

Erdogan-Befürworter würden verstärkt Druck auf regierungskritische Türken ausüben, betonten jüngst unter anderem Baden-Württembergs Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) und Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg und Deutschland. „Man wird ja bereits als Vaterlandsverräter denunziert, wenn man Nein sagen möchte“, sagte Sofuoglu jüngst.

Auch die Beisitzerin des CDU-Landesvorstands Baden-Württemberg, Birgül Akpinar, setzt sich für ein Nein bei der Abstimmung ein. „Eine politische Vielfalt in der Türkei wie wir sie kennen wird es sonst nicht mehr geben.“ Die türkischstämmige Alevitin darf selbst nicht abstimmen, macht aber auf die Gefahren einer Verfassungsänderung aufmerksam. Aus ihrer Sicht bekäme Präsident Erdogan durch das neue Präsidialsystem mehr Macht. Sollte er aber das Referendum verlieren, sieht Akpinar „in jedem Fall sein politisches Ende“.

Trotz der Meinungsverschiedenheiten innerhalb der türkischen Bevölkerung ist die Stimmung am Montag ruhig. Die Wähler sprechen miteinander, große Diskussionen finden aber nicht statt. Auch regierungskritische Aussagen werden unter den Wahlberechtigten toleriert. Das Wahlprozedere läuft friedlich, am Eingang werden Männer und Frauen separiert. Sie müssen getrennt voneinander zum Urnengang. Wie das Referendum ausgeht, steht erst am 16. April fest - dann wird in der Türkei gewählt. Umfragen deuten auf ein knappes Ergebnis hin.