Das Diesel-Fahrverbot bis einschließlich Euro 4 wird in ganz Stuttgart vom 1. Januar an gelten. Foto: dpa

Die Bundesregierung will die Grenzwerte, ab denen Fahrverbote gelten sollen, hochsetzen. Gerichte warnen davor, denn die EU-Gesetzgebung gehe vor.

Stuttgart - Baden-Württemberg unternimmt an diesem Freitag im Bundesrat einen neuen Anlauf, um die Blaue Plakette zur Kennzeichnung vergleichsweise schadstoffarmer Dieselautos (ab Euro 6) und Benziner (ab Euro 3) durchzusetzen. In der gleichen Sitzung steht auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung für einen höheren Stickstoffdioxid-Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel zur Debatte.

Europaweit gültig und seit 2010 auch in Deutschland gesetzlich festgeschrieben ist ein Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm. In Stuttgart werden rund 70 erreicht, weshalb es ab Januar 2019 zu gerichtlich angeordneten Dieselfahrverboten bis einschließlich Euro 4 kommen wird. Einen zweiten, höheren Grenzwert in das Bundesimmissionsschutzgesetz zu schreiben findet das Landesverkehrsministerium nicht hilfreich: „Diese Versuche, Rechtsunsicherheit zu schaffen, sehen wir kritisch“, sagte Amtschef Uwe Lahl bei einer Verhandlung zu Verkehrsverboten vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht. „Man kann nicht das EU-Recht als nationaler Gesetzgeber derart abändern“, warnte Richter Wolfgang Kern, erst ab Werten unter 45 Mikrogramm könne man wegen der Verhältnismäßigkeit auf ein Fahrverbot verzichten. Auch das Verwaltungsgericht Berlin moniert, der jetzige Grenzwert ließe „keinen Raum für eine Toleranzmarge“, sie sei unvereinbar mit dem EU-Recht.

Rechtslage wird konterkariert

Der Bundesrat solle die Änderung ablehnen, empfiehlt das Beschlusspapier der Länderkammer, ansonsten werde die europäische und nationale Rechtslage konterkariert. Für den Vollzug gäben die 50 Mikrogramm „keinerlei Rechtssicherheit“. In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben der Bund für Umwelt und Naturschutz, der Verkehrsclub Deutschland, Client Earth und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) die Regierung aufgefordert, sich um die Emissionsminderung der Fahrzeuge zu kümmern und den Abbau des Gesundheitsschutzes zu unterlassen. Der EU-Kommission hat die Regierung die beabsichtigte Änderung angezeigt. Brüssel hält sich mit einer Meinungsäußerung zurück: „Wir sind über die Pläne informiert und analysieren diese“, so ein Sprecher auf die Anfrage unserer Zeitung.

In der Gesetzesänderung soll auch der Grenzwert von 270 Milligramm pro Kilometer für nachgerüstete Euro-4- und Euro-5-Diesel festgeschrieben werden. Sie würden so dauerhaft von Fahrverboten befreit. Die Hardware-Nachrüstung stößt beim Land auf Zustimmung. Die Umwelthilfe hat nach eigenen Angaben einen sechs Jahre alten BMW X3 (Euro 5) mit teils BWM-eigenen Teilen, die vom Hersteller in den USA verbaut würden, nachrüsten lassen und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt statt 1348 nur 219 Milligramm Stickstoffdioxid gemessen – 84 Prozent Minderung. BMW solle seine Nachrüstverweigerung aufgeben, fordert die DUH.

Das Land enthält sich

Ebenfalls beschließen soll der Bundesrat die automatische Kennzeichenerfassung. Auch hier lautet die Beschlussempfehlung auf Ablehnung. Baden-Württemberg wird sich wegen der Koalitionsräson (Grüne dagegen, CDU nun dafür) enthalten. Wie die Abstimmungen in der Länderkammer ausgehen, ist offen, beim Land jedenfalls wagt man keine Prognose.