Ein Vertreter der Ultras fordert Hertha-Spieler Lucas Tousart auf, das Trikot auszuziehen. Foto: Imago// Wiedensohler

Nach dem 1:4 gegen Union Berlin demütigen einige Ultras die eigenen Spieler mit der Aufforderung, die Trikots abzugeben. Sportlich hat die Hertha im Stadtderby keine Chance. Während Trainer Felix Magath sein Team nicht erreicht, werden der Präsident und der Investor angefeindet.

In einer seiner aktuell wenigen ruhigen Minuten wird sich Fredi Bobic bestimmt mal gefragt haben, warum er eigentlich nicht einfach seinen ursprünglich bis 2023 datierten Vertrag als Sportchef der Frankfurter Eintracht erfüllt hat. In diesem Fall hätte sich der ehemalige Nationalstürmer, dessen Ehefrau Britta mit den beiden inzwischen erwachsenen Töchter Celine und Tyra seit Langem in der Hauptstadt lebt, nun mit den Frankfurtern aufmachen können, um im Gastspiel beim FC Barcelona am Donnerstag womöglich für eine kleine Europapokal-Sensation zu sorgen.

 

Doch Bobic ist seit dieser Saison ja als Geschäftsführer Sport beim Bundesliga-Vorletzten und Chaosclub Hertha BSC tätig, bei dem die Probleme spätestens seit dem 1:4 im Stadtderby gegen Union Berlin vom Samstag ein nur schwer erträgliches Ausmaß angenommen haben. Denn sie gipfelten nach dem klar verlorenen Spiel gegen die Köpenicker in einem neuen Höhepunkt des Jammers, in einer schweren Demütigung der Hertha-Spieler durch eine Teilgruppierung der eigenen Ultra-Szene. Diese hatte die anwesenden Profis nach Schlusspfiff vor dem Fanblock vehement aufgefordert, umgehend die Trikots auszuziehen. Schließlich seien es die Spieler an diesem Nachmittag nicht wert, so die Auffassung der Ultra-Aggressoren, die Farben der Hertha zu tragen.

Mittelstädt setzt auf Deeskalation

Gerade die jungen Spieler in der Elf von Trainer Felix Magath wie der Sechser Linus Gechter, 18, und der trotz der vier Gegentreffer bravourös haltende Torwart Marcel Lotka, 20, aber auch erfahrenere Profis wie Max Mittelstädt („Ich wollte eine Konfrontation vermeiden“) oder Lucas Tousart kamen dieser Aufforderung letztlich eingeschüchtert nach. Also legten sie ihre Jerseys auf der blauen Tartanbahn des Olympiastadions ab.

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„Die Fans nehmen sich schon einiges raus. Da wird eine Linie überschritten. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es dann reicht“, sagte Fredi Bobic tags darauf im TV-Sender Sport 1 – und berichtete sogleich von einem unerwünschten Auftritt erzürnt drohender Fans im Januar bei einer nicht öffentlichen Trainingseinheit vor dem Bayern-Spiel. „Das war kein Trainingsbesuch“, sagte Bobic, „das war ein Aufmarsch.“

Neu ist es inzwischen allerdings nicht mehr, dass ein gewaltbereiter Kern der Kurve in der Überzeugung, das zentrale Organ des Vereins zu sein, seine Machtansprüche auslebt – und die Spieler bei Misserfolg öffentlich abstraft. So hat etwa der Hertha-Spieler Suat Serdar ganz ähnliche Szenen bereits vor zwei Jahren bei seinem Ex-Club Schalke 04 erlebt. Damals musste S04-Kapitän Benjamin Stambouli nach einem desolaten 0:4 gegen Aufsteiger Düsseldorf vor der Nordkurve, dem Epizentrum der Schalker Fans, seine Spielerführerbinde abgeben. Erstmals hatten in Deutschland die Spieler des 1. FC Nürnberg 2004 nach einem 0:3 in Karlsruhe die Trikots übergeben müssen.

Sonntagstraining unter Polizeischutz

„Das macht mit einem was – und das ist auf jeden Fall nichts Positives“, fühlte Fredi Bobic mit den Spielern mit, die am Sonntag nach einer zweistündigen Sitzung unter Polizeischutz trainierten und die in den letzten fünf Saisonspielen den siebten Abstieg der Hertha verhindern sollen.

Eigentlich hätte die Berliner Stadtmeisterschaft im Fußball ein Festtag werden sollen: Nach mehr als zwei Jahren spielte die Hertha vor einem mit 74 667 Fans gefüllten Haus – und vor einer zunächst auf beiden Seiten des Stadions äußerst stimmungsvollen Kulisse. Doch nach den Treffern von Genki Haraguchi (31.), Grischa Prömel (53.), Sheraldo Becker (74.) und Sven Michel (85.) bei einem Eigentor von Timo Baumgartl (48.) jubelten nur noch die 12 000 Union-Fans.

„Wie kriege ich die Spieler dazu, dass sie auf dem Platz zusammenarbeiten, sich zusammen wehren und kämpfen?“, grübelte Hertha-Trainer Felix Magath, der in der Nacht nach dem Spiel nach eigenen Angaben kaum schlief. Ist der Magath-Effekt nach drei Spielen bereits verpufft? Gegen Union stellte der Altmeister seine Elf, in welcher er den 18-jährigen Debütanten Julian Eitschberger als Linksverteidiger ins kalte Wasser warf, mit zwei Viererketten zu passiv ein.

Abstiegsgipfel gegen den VfB

Am nächsten Samstag muss die Hertha nun beim FC Augsburg ran. Spätestens aber zum nächsten Heimspiel, wenn der VfB am Sonntag, 24. April, zu einer Art Abstiegsendspiel im Olympiastadion aufkreuzt, werden neben den sportlichen Problemen auch wieder Proteste gegen den Präsidenten Werner Gegenbauer und den Investor Lars Windhorst erwartet. Von Letzterem machte dieser Tage das Gerücht die Runde, er habe seine über das 375-Millionen-Investment erworbenen Anteile an der Hertha inzwischen verpfändet. Dass Windhorst via Twitter dementierte, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein beim Krisenclub Hertha, bei dem Fredi Bobic weiter als Feuerwehrmann gefragt ist.