Zum Abschluss der 20. Aktionswoche zur Armut hat wieder das landespolitische Gespräch mit dem Sozialausschuss des Landtags stattgefunden – zum zweiten Mal im Plenum.
„16,5 Prozent, also 1,8 Millionen Menschen in Baden-Württemberg sind von Armut betroffen. Der Ton in der Gesellschaft ist rau geworden. Es ist unsere Verantwortung, das zu überwinden.“ Florian Wahl, SPD-Abgeordneter und Sozialausschussvorsitzender des Landtags, kam fix zum Punkt, als er beim landespolitischen Gespräch begrüßte. Gekommen waren – außer dem erkrankten Oliver Hildenbrand (Grüne) – die Sozialausschussmitglieder Manuel Hailfinger (CDU), Nikolai Reith (FDP), Andreas Kenner und Dorothea Kliche-Behnke (beide SPD), um mit Engagierten auf Augenhöhe über soziale Lagen zu diskutieren, im Herzen der Demokratie. Jan Sellner, Redakteur der Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten, moderierte.
Das landespolitische Gespräch ist stets Abschluss der Aktionswoche zur Armut, die die beiden Netzwerke der Gemeinsamen Landesarmutskonferenz Baden-Württemberg (LAK-BW) veranstalten, also Basisorganisation und Liga der freien Wohlfahrtspflege mit DGB-Landesverbänden und Tafel. Die LAK-BW entstand aus einem Aktionstag, mit dem 2004 die Basis auf die Agenda 2010 reagierte. „Armut bedroht immer noch alle“, lautete denn auch der Titel im 20. Jahr, zu der wieder Gäste aus Frankreich gekommen waren – das LAK-BW ist über Europas Grenzen hinweg vernetzt.
Die europaweite Vernetzung ist ein Pluspunkt
Deren Engagement und den direkten Austausch lobten die Abgeordneten. „Der Armuts- und Reichtumsbericht muss fortgeschrieben, im Parlament breit diskutiert werden – und in die Öffentlichkeit“, so Wahl. In Baden-Württemberg waren laut Statistischem Bundesamt 2024 insgesamt 92 675 wohnungslose Menschen in Unterbringung, darunter 30 300 Kinder – ein Anstieg von über 21 Prozent zu 2023.
„Es gibt ein Verteilungs- und Gerechtigkeitsproblem“, sagte Wahl. Das beträfe vor allem Kinder, Ältere, Menschen mit Migrationshintergrund, Personen mit nicht geradlinigen Lebensläufen, die „Working Poor“. „Sie arbeiten, doch das Geld reicht nicht.“ Begriffe wie „Leistungsträger“ grenzten da aus. Auch Vergleichsdebatten dürfe man nicht führen, jene, die wenig hätten, gegen jene, die weniger hätten, in Stellung bringen. Das Fazit von LAK-BW-Sprecher Roland Saurer: „Wer sich nicht einmischt und artikuliert, wird nicht wahrgenommen!“ Harte Arbeit bedeute das, aber auch Zunahme an Bildung, Sprache und Wissen.
Administrative Hürden beim Thema Armut
Marco Lang, der Geschäftsführer der Awo Württemberg, nannte Fallbeispiele. Die alleinerziehende Mutter, die fast die Wohnung verlor, weil die Bearbeitung ihres Wohngeldantrags zwölf Monate brauchte. Oder der Obdachlose mit unklarem Krankenversicherungsstatus, den eine ehrenamtlich engagierte Ärztin in einer Wohnungslosenhilfeeinrichtung behandelte. „Wir brauchen kürzere Bearbeitungszeiten bei Anträgen und bessere medizinische Versorgung für wohnungslose Menschen“, sagte Lang. Dass administrative Hürden zusätzlich Armut produzierten, viel versteckte Armut herrsche, Teilhabe ein Schlüssel sei, Armut zu bekämpfen – das betonten Harry Widmann, Olena Tutova und Doris Kölz vom LAK Netzwerk 1.
Diskutiert wurde zudem die Schließung von weiteren 17 Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, die prekäre Situation Alleinerziehender und Verwitweter. Das neue Steuergesetz sei besser, sagt FDP-Mann Reith. Gut an kam Kenners Idee, nach zwölf Wochen einen rechtmäßigen Antrag als genehmigt gelten zu lassen, sollte das Amt nicht fertig sein. Besorgt zeigten sich Teilnehmende ob der Wahlergebnisse im Osten Deutschlands – nichts Gutes für die Sozialpolitik. Wahl betonte das Miteinander der demokratischen Landtagsfraktionen und deren Wertekonsens. „Nächstes Jahr treffen wir uns wieder hier.“ Im Schlusswort machte Saurer Mut: Nur eine gemeinsame Kraftanstrengung stabilisiere die sozialen Verhältnisse. „Bis 2030 kommen wir zur Politik der Partizipation.“