Fritz Kuhn bei der Eröffnung des Bad Berg. Foto: Leif Piechowski/Leif Piechowski

Stuttgarts Stadtoberhaupt Fritz Kuhn strebt keine zweite Amtszeit an und verlässt das Rathaus nach acht Jahren. Er führt rein persönliche Gründe für den Abschied an. Aber als Oberbürgermeister hinterlässt er auch Baustellen und viele Kritiker.

Stuttgart - Baustellen haben Fritz Kuhn in seiner gesamten Amtszeit an der Spitze des Stuttgarter Rathauses begleitet, einige sogar lärmend und staubig. Nicht nur der gewaltige Krater des Bauprojekts Stuttgart 21 am Hauptbahnhof war ein Dauerthema in seiner Zeit als Oberbürgermeister. Er hinterlässt seiner Nachfolge nach acht Jahren als Stadtoberhaupt auch offene Baustellen in der Stadtpolitik, beim Wohnungsbau ebenso wie im Streit um die Luftreinhaltung und die Mobilität. Nicht nur deshalb wird die Kritik am scheidenden Stadtoberhaupt auch öffentlich laut.

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In einer von der Universität Hohenheim in Stuttgart selbst initiierten und finanzierten Befragung wird Fritz Kuhn zwar als vertrauenswürdig eingestuft, kritisiert werden aber Defizite bei Bürgernähe, Tatkraft und Konzept. „Er hat für viele Menschen die Hoffnungen nicht erfüllt, die sie bei seiner Wahl in ihn gesetzt hatten“, sagt der Stuttgarter Politikwissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim.

Da ist zum einen das massive Verkehrsproblem, unter dem die Metropole ächzt. Erst auf Druck der Gerichte wurden die bundesweit ersten großflächigen Diesel-Fahrverbote zur Luftreinhaltung verhängt. Dem einen fehlen Parkplätze in der Stadt, dem anderen die Radwege.

„Kuhn ist mehr ein Redner als ein Macher gewesen“

Auch der Mangel an bezahlbaren Wohnungen bleibt ein großes Problem, ebenso wie die horrenden Mietpreise. Nach Angaben des Stuttgarter Mietervereins fehlen in der Stadt 25 000 Wohnungen, die Bodenpreise seien in einem Jahrzehnt um 130 Prozent gestiegen, die Bestandsmieten um 40 Prozent - und im vergangenen Jahr seien lediglich 950 Wohnungen gebaut worden, sagt der Vereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. „Kuhn ist mehr ein Redner als ein Macher gewesen“, kritisiert er. „Er hat die Bedeutung für den Wohnungsbau stets betont, aber Taten habe ich nicht gesehen.“ Dabei sei Stuttgart eine wachsende Stadt. „Und da muss der Wohnungsbau dringend mitwachsen“, sagt Gaßmann.

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Die Verkehrswende hat Kuhn dagegen angeschoben, die Energiewende kommt langsam auf kommunaler Ebene voran, und zumindest zeitweise sorgte die Tarifreform beim öffentlichen Nahverkehr für günstigere Tickets. Vor allem durch Verzögerungen von Bund, Bahn und Bau fährt dagegen am Hauptbahnhof erst 2025 ein Zug über die neuen Gleise, und ein Klinikskandal brachte vor allem grüne Kommunalpolitiker in Bedrängnis - in dem Zusammenhang musste auch Kuhn unangenehme Fragen beantworten.

Eher ein Verwalter als ein Gestalter

Nicht in allen Fragen hatte der Grünen-Politiker bei diesen Debatten von Amts wegen das letzte Wort, vieles konnte der 65-Jährige ohne Land oder Bund an seiner Seite nicht klären. Und dennoch wuchs vor allem zuletzt die Kritik an Kuhn, weder eine klare Vision für die Stadt noch ein Konzept für die drängenden Probleme der Metropole zu besitzen. „Er hat seinen Ruf bestätigt, eher ein Verwalter als ein Gestalter zu sein. Und er hat es verpasst, der Stadt einen Ruck zu geben“, sagt Brettschneider.

Vielleicht hat das Kuhns Entscheidung beeinflusst, nicht erneut zur Wahl um sein Amt anzutreten. Oder spielten auch Ermüdungserscheinungen eine Rolle? Der OB zumindest hat das von sich gewiesen. „Ich bin ja eher einer, der mit Widerstand wächst“, sagte er nach der selbst für Parteifreunde überraschenden Verkündung seines Abschieds.

Dabei war sein Sieg bei der Oberbürgermeisterwahl 2012 ein großer Erfolg für die Grünen - und eine Heimkehr für ihn. Kuhn gehörte vor mehr als 40 Jahren zu den Gründungsmitgliedern der Partei in Baden-Württemberg. Von 1984 bis 1988 und von 1992 bis 2000 war er Grünen-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, bevor er Stuttgart verließ, um in der Bundespolitik mitzumischen. Der Grünen-Realo war Chef der Bundespartei und Fraktionsvorsitzender im Bundestag, danach schrieb er als erster grüner Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt Geschichte. Denn 40 Jahre lang war der OB-Posten in Stuttgart zuvor eine CDU-Bastion gewesen.

„Wir bleiben in Stuttgart“

Kuhn wurde 1955 in Bad Mergentheim geboren. Der studierte Philosoph und Germanist, verheiratet und Familienvater, gilt als rhetorisch und intellektuell versiert. Auf Menschenmassen reagiert er zurückhaltend, als Mensch ist er eher ein ernster Typ. Auch das hat ihm seine Jahre im Stuttgarter Rathaus nicht einfacher gemacht. Bei seiner Abschieds-Pressekonferenz im vergangenen Januar verwies Kuhn allerdings auch auf sein Alter. Er sei gerne OB, sagte er, aber nach dem Ende einer zweiten Amtszeit wäre er weit über 70 Jahre alt. Da stelle man sich die Frage, ob man im Leben noch etwas anderes machen wolle. Zumindest am Wohnsitz soll sich nichts ändern: „Wir bleiben in Stuttgart“, sagte Kuhn.