Maike Kohl-Richter vor dem gemeinsamen Haus in Oggersheim. Foto: dpa

Helmut Kohl ist tot - nun beginnt für viele das Abschiednehmen. Vor seinem Haus wird deutlich, dass die Menschen unterschiedliche Dinge mit dem Mann verbinden, dem die Pfalz viel Aufmerksamkeit verdankt.

Ludwigshafen - Helmut Kohls Witwe ist die Trauer ins Gesicht geschrieben. Maike Kohl-Richter wirkt gezeichnet, als sie am Sonntag vor ihr Haus tritt, um still die Blumengebinde zu betrachten, die dort seit dem Tod des Altkanzlers abgelegt wurden. Die zierliche Frau im schwarzen Kleid verbirgt ihre Augen hinter einer Sonnenbrille. Zusammen mit dem früheren „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann legt sie eine Europafahne auf dem Gehweg zurecht, bevor sie in den Bungalow zurückgeht. Dort ist der Leichnam des Altkanzlers nach einem Zeitungsbericht im Wohnzimmer aufgebahrt.

Seit Kohls Tod kommen immer wieder Trauergäste zu dem zweistöckigen Bungalow in Ludwigshafen-Oggersheim, um ihre Anteilnahme auszudrücken. Lilien, Rosen, Grablichter: All das haben Menschen seit Freitag als Zeichen ihrer Anteilnahme vor den Eingang des Hauses gelegt. „Danke für die Deutsche Einheit“, steht auf einem Banner, das die Junge Union am Briefkasten befestigt hat. Und auf einer Trauerkarte an einem Strauß heißt es: „Danke für Ihr Lebenswerk. Sie waren ein Ideal für mich“.

Ein Schild, das eine 76-jährige Frau am Samstag ablegte, spielt auf die Verhältnisse innerhalb der Familie Kohl an. „Wie können Kinder und Enkelkinder Trauer bewältigen ohne persönlichen Abschied?“, steht darauf. Kohls Sohn Walter hatte am Freitag beklagt, dass er vom Tod des Vaters erst aus dem Radio erfahren habe - nach jahrelangem Schweigen.

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„Er hat viel für Deutschland getan, für Europa, für die ganze Welt.“

Helmut Kohls Haus in der Marbacher Straße 11 hat schon viel Trubel erlebt. In den 80er und 90er Jahren hatte der damalige Bundeskanzler viele Staatsgäste auf Deutschlandbesuch nach Oggersheim eingeladen. Michail Gorbatschow, George Bush Senior, Bill Clinton: Sie alle und noch viele andere hatte der Staatsmann aus der Pfalz in seine Heimat geholt, wo er sie mit einheimischen Spezialitäten verwöhnte und ihnen die Schönheit der Landschaft zeigte - und damit der Pfalz zu internationaler Aufmerksamkeit verhalf.

Der damalige US-Präsident Clinton hatte sich sogar auf der Straße vor Kohls Haus in das Goldene Buch der Stadt eingetragen - angetan von den Klängen eines Saxofons, das eine Frau in der Menge der Schaulustigen gespielt hatte. Und als Kohl 1982 Kanzler geworden sei, da hätten die Menschen vor seinem Haus Spalier gestanden und applaudiert, erinnert sich die 78-Jährige Rentnerin am Samstag. Sie verehrt Kohl auch heute noch. „Er hat viel für Deutschland getan, für Europa, für die ganze Welt.“

Am Freitag ist Kohl im Alter von 87 Jahren gestorben. Ein schwerer Sturz vor einigen Jahren und diverse Krankheiten hatten ihm schwer zugesetzt - er saß schon seit längerem im Rollstuhl, das Sprechen fiel ihm schwer. „Er ist erlöst“, sagt Matthäus Neumer nun. Der 78-Jährige aus Rödersheim-Gronau im Rhein-Pfalz-Kreis war lange Jahre Kohls Saunafreund, er hatte den Altkanzler vor zwei Jahren zu dessen 85. Geburtstag besucht. Kohl habe damals mit der einen Hand die andere festhalten müssen, so sehr habe er gezittert, erinnert sich Neumer. „Die letzten Jahre waren ja nicht mehr lebenswert für ihn“, meint er. „Er musste ja voll versorgt werden.“

Kohl habe sich immer für die kleinen Leute interessiert

Neumer hat aber auch einen anderen Kohl in Erinnerung, einen, der wie er selbst immer samstags in die Sauna im Hallenbad Nord ging. „Ich habe ihn immer bewundert“, sagt Neumer. Kohl habe eine „Riesenarbeit“ gemacht, sich aber immer auch für die kleinen Leute interessiert - und sich zum Beispiel regelmäßig nach den Eltern eines tödlich verunglückten Nachbarsmädchens erkundigt. Die Saunabesuche scheinen Kohl wichtig gewesen zu sein. Einmal sei er morgens um halb sechs von einem Bundesparteitag in Trier heimgefahren, um um halb neun in der Sauna zu sein. „Das hat er sich nicht nehmen lassen“, sagt Neumer.

Nach dem Saunabesuch wurde gegessen und getrunken, Kohl habe meistens Weinschorle gewählt. Eine Gruppe von acht bis zehn Leuten seien sie damals gewesen. Wenn Kohl einer nicht gepasst habe, habe er entsprechende Andeutungen gemacht - so als mal einer in seiner Abwesenheit schlecht über ihn gesprochen habe. „Hintenrum schimpfen, das wollte er nicht haben“, sagt Neumer. Man habe dann demjenigen bedeutet, dass er nicht mehr zu dem Tisch dazugehöre. Das alles ist lange her. Das Hallenbad Nord ist seit 2001 geschlossen.

Beim Warten vor Kohls Haus finden sich auch Menschen ein, die ihrer Trauer auf unerwartete Weise Ausdruck verleihen. Ein Mann, der sich als Dembo Krubally aus Landau vorstellt, spricht laut vor dem Hauseingang ein muslimisches Gebet. Er habe miterlebt, wie Kohl es geschafft habe, Deutschland zu einen, sagt der Mann, der nach eigenen Angaben aus Gambia stammt und seit 30 Jahren in Deutschland lebt. „So ein Mensch fehlt uns.“ Später findet sich auch Eckhard Seeber ein, Kohls langjähriger Fahrer. Er verlässt das Haus nach einigen Minuten wortlos.

„Tschüß Helmut“

Der 86-jährige Günter Schöffler kommt auf seinem Elektrowägelchen vorbei, legt ein Gebinde ab und verneigt sich kurz vor dem Kohlschen Anwesen. Er hatte nach eigenen Angaben in der Nähe eine Bäckerei und Konditorei und hat die Kohls bei Staatsbesuchen oft beliefert. Andere wiederum kommen einfach vorbei. „So historische Momente muss man mitnehmen“, sagt eine 35-Jährige, die mit Mann und zwei Kindern gekommen ist. Eine Radfahrerin wirft dem Haus im Vorbeifahren eine Kusshand zu. „Tschüß Helmut“, sagt sie leise.

Trauer auch bei der Europäischen Stiftung Kaiserdom zu Speyer, deren Kuratorium Kohl vorsaß. Sie setzt sich unter anderem für die Erforschung des Domes und seinen Erhalt ein. Kohls Tod sei ein enormer Verlust, sagt der Stiftungsvorsitzende Prof. Peter Frankenberg. „Er war einer der ganz wesentlichen Mitbegründer der Stiftung.“ Und ohne Kohls Arbeitseinsatz und Renommee hätte die Stiftung nie das Ansehen bekommen, das sie heute habe. Die Stiftung will Kohl mit einem Symposium würdigen, bei dem es auch um die christliche Dimension Europas gehen soll.

Die gewaltige Kathedrale stehe für knapp 1000 Jahre deutscher und europäischer Vergangenheit und müsse im Interesse nachfolgender Generationen erhalten werden, hatte Kohl am 2. Juli 1999 in der Dom-Krypta gesagt. 2001 wurde im Dom die Totenmesse für seine erste Frau Hannelore gelesen, die sich nach schwerer Krankheit das Leben genommen hatte. Und auch für Kohl soll es eine öffentliche Totenmesse im Dom geben, wie die „Bild am Sonntag“ berichtet. Zuvor ist ein europäischer Staatsakt in Straßburg geplant.

Kohls Leichnam soll dem Bericht zufolge danach per Schiff nach Speyer gebracht werden. Nach der Messe werde der engste Familien- und Freundeskreis in der Traukapelle im Adenauerpark in Speyer Abschied von Kohl nehmen. Ein Datum wurde noch nicht genannt. Bis zum Staatsakt solle Kohl in seinem Haus in Ludwigshafen-Oggersheim aufgebahrt bleiben.