Wird unvergessen bleiben: Pelé Foto: dpa/Alexander Zemlianichenko

Der Name des Brasilianers steht bis heute als Synonym für die Schönheit des Fußballs. Nun ist der beste Fußballer des vergangenen Jahrhunderts im Alter von 82 Jahren gestorben. Die Welt des Sports trauert um eine Ikone.

Es gibt einen kurzen, vergilbten und ziemlich verwackelten Film. Aus den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Ein hagerer Junge jagt kreuz und quer über einen staubigen Platz. Den Ball führt er so eng und so traumwandlerisch sicher durch die Abwehrreihen des Gegners, als sei er mit dieser kleinen Kugel am Fuß zur Welt gekommen. Wenn Edson Arantes do Nascimento trickste und dribbelte, strömten die Neugierigen am Spielfeldrand zusammen. Vereint im sicheren Gefühl, dass aus diesem Sohn des João Ramos do Nascimento einmal mehr werden könnte als ein Provinzstar auf den holprigen Fußballfeldern der Umgebung. Pelé, wie ihn seine Freunde aus der Sete de Setembro, einer Straßenmannschaft, riefen, war die Attraktion in der bettelarmen Bande der Schuhlosen.

Sie spielten barfuß, weil das Geld für Kickstiefel nicht reichte. Als Ball diente ein Knäuel aus zusammengebundenen alten Socken – manchmal mit einer Grapefruit drin. Und sie schwänzten die Schule, weil ihr Traum größer und mächtiger war als die Vernunft. Brasilien war ein reiches Land – mit vielen armen Menschen. Für sie galt der Fußball als Mittel, dem Elend zu entkommen.

Das Geld reichte nicht aus

Auch Pelés Vater Dondinho zählte nicht zu denen, die mit zwei linken Beinen nach der Karriere als Profikicker strebten. Aber eine schwere Knieverletzung gleich im ersten Spiel als Berufsfußballer zerstörte alle Pläne. Weil das Gelenk großen Belastungen nicht mehr standhielt, heuerte er beim unterklassigen Bauru Atlético Clube (BAC) an, der ihm im Nebenerwerb eine Stelle als Reinigungskraft im örtlichen Krankenhaus verschaffte. Das Geld reichte hinten und vorne nicht für die fünfköpfige Familie. Pelé verdiente ein paar Cruzeiros als Botengänger oder als Schuhputzer am Bahnhof. Aber das Glück ist mit den Tüchtigen.

Als der örtliche BAC 1952 eine Jugendmannschaft gründete, forschte der ehemalige Nationalspieler Waldemar de Brito als verantwortlicher Coach nach Talenten. Als er den elfjährigen Pelé zum ersten Mal spielen sah, soll er die Hände zum Himmel erhoben und dem Herrn gedankt haben: „Dieser Junge hat das Zeug, um einmal der größte Fußballer der Welt zu werden.“

Früh gefördert

Legenden hin, Ammenmärchen her. Pelé wurde jedenfalls schon sehr früh professionell gefördert, mit seinem Vater schob er nach dem Training Extraschichten, vier Jahre später bat ihn der FC Santos aus São Paulo zum Probetraining. Trainer Lula war begeistert. Der 15-Jährige bekam einen Amateurvertrag, eine Bleibe in der Hafenstadt Santos und ein kleines monatliches Salär, das reichte, um sich komplett auf den Fußball zu konzentrieren. Seine Karriere nahm Fahrt auf. Pelé brach die Lehre als Schumacher ab, unterschrieb 1957 seinen ersten Profivertrag und spielte mit 16 Jahren seine erste Saison als Berufsfußballer. Er traf 36 Mal in 29 Spielen. Brasiliens Presse schwärmte von der „Pérola Negro“, der schwarzen Perle.

Gesegneter Instinkt

Der schüchterne und streng gläubige Junge aus dem brasilianischen Hinterland behielt auch unter knallharten Profibedingungen seine unverbrauchte Freude am Spiel: Leichtfüßig, schnell, wendig, beidfüßig, zweikampf- und kopfballstark und gesegnet mit dem Instinkt, immer ein wenig früher als die anderen zu erahnen, wohin sich Ball, Gegner und Mitspieler im nächsten Moment bewegen werden. Aber die Begeisterung stieß dort an Grenzen, wo das rassistisch geprägte Land strikt trennte zwischen Weißen und Schwarzen. Mehr als ein dunkelhäutiger Spieler im Kader der brasilianischen Nationalmannschaft war unvorstellbar. Und Giggi war vor der Weltmeisterschaft 1958 gesetzt.

Trainer Vicente Feola setzte sich über alle Bedenken hinweg und nahm den 17-jährigen Pelé mit nach Schweden. Gegen England und Österreich saß er noch auf der Bank, dann winkte ihn Feola aufs Feld. Pelé schoss sechs Treffer in vier Spielen. Im Halbfinale gegen Frankreich (5:2) gelang ihm ein Hattrick, im Finale gegen die Schweden (5:2) stoppte er den Ball mit der Brust, ließ ihn einmal aufspringen, hob ihn über seinen Gegenspieler und donnerte ihn mit dem Spann ins Netz. Sein zweites Tor erzielte er mit einem wuchtigen Kopfstoß. Die Reporter reagierten verblüfft: „Wer ist dieser Junge? Warum ist der nicht in der Schule?“

Tränen der Freude

Pelé wurde zum jüngsten Weltmeister bis heute, die Fachwelt lag ihm zu Füßen, die Teamkollegen trugen den neuen Weltstar auf den Schultern in die Kabine. Edson Arantes do Nascimento kullerten vor Freude die Tränen übers Gesicht. Als Zehnjähriger hatte er nach dem verlorenen WM-Finale der Brasilianer (1:2 gegen Uruguay) seinen weinenden Vater getröstet: „Papa, wenn ich groß bin, mache ich Brasilien zum Weltmeister.“

Am 1. Oktober 1977 saß der alte Herr stolz wie Oskar im Stadion von Cosmos New York, als sein Filius mit einer gigantischen Show seine Karriere beendete. Bis dahin hatte er in den 17 Jahren beim FC Santos 26 nationale und internationale Titel gefeiert, er war mit Brasilien dreimal Weltmeister geworden. Er schoss 77 Tore in 92 Länderspielen, 1284 Treffer insgesamt, darunter 130 Hattricks. Pelé, der immer nur Edson genannt werden wollte, war längst eine Ikone. Der sagenhafte Aufstieg des verhuschten Landjungen zum weltweit bewunderten O Rei do Futebol, zum König des Fußballs, war zum Mythos verklärt.

Fürstlich entschädigt

Die Militärjunta Brasiliens hatte ihn nach der WM 1958 zum nationalen Kulturgut erklärt, einen Wechsel ins Ausland verboten. Der FC Santos entschädigte ihn fürstlich, er verdiente er mehr als der Staatspräsident.

Mit dem Jahrhundertteam des FC Santos reiste er um die Welt. Das „Ballet bianco“, das weiße Ballett, war eine Show. Mit den Freundschaftsspielen, 1963 unter anderem beim VfB Stuttgart, finanzierte der Verein die Gehälter seiner Topstars. Die Fernsehvermarktung und das Internet waren noch nicht erfunden. Die Reisestrapazen gingen aber an die Substanz. Ende der Sechzigerjahre schien Pelé seinen Zauber zu verlieren.

Vor der WM 1970 in Mexiko sortierte ihn Nationaltrainer João Saldanha aus. „Er ist zu alt, übergewichtig und er sieht nicht mehr richtig“, ätzte der Coach. Als sich im Vorfeld der WM die Niederlagen häuften, machte die Staatsregierung aber Druck. Mario Zagallo übernahm als Trainer und holte Pelé zurück. Er arbeitete hart, stellte seine Ernährung um, achtete auf seine Körper und versprach: „Coach, wir werden Weltmeister.“ Und er hielt Wort: Pelé führte Brasilien mit unbändigem Willen zum dritten WM-Titel nach 1958 und 1962. Bis heute spricht die Fachwelt von der besten Seleçao, die je auf dem Platz gestanden hat. Italiens Squadra Azzurra sah im Finale aus wie eine Schülermannschaft (1:4). Pelés schoss den Führungstreffer und brüllte nach Spielschluss in der Kabine: „Ich bin nicht tot.“

Zwei gescheiterte Ehen

Nach der WM beendet er seine Karriere, spielte später noch einmal mit Franz Beckenbauer aus finanziellen Gründen bei Cosmos New York. Pelé wurde zum Sportminister ernannt, und der alte Vorwurf keimte wieder auf: Er sei ein Opportunist, der sich nie klar gegen die Militärjunta positioniert habe. Er förderte den Breitensport und kurbelte Sozialprojekte an – oft wirkungslos. Privat geriet er immer mal wieder in Turbulenzen. Zwei Ehen scheiterten, in den Neunzigern anerkannte er erst nach Vaterschaftstests zwei uneheliche Töchter.

Zuletzt lebte er zurückgezogen in seinem Geburtsort Três Corações. Die Plagen des Alters machten ihm zu schaffen, er litt unter Depressionen. Jetzt ist der wohl perfekteste Fußballer bis heute nur noch Teil einer faszinierenden Geschichte. Edson Arantes do Nascimento ist tot, Pelé lebt weiter – in den Herzen aller, die den Fußball lieben.