Ernst Baisch Foto: Archiv

Keiner kannte seine Heimatstadt so genau wie er. Jetzt ist Ernst Baisch kurz vor seinem 100. Geburtstag verstorben.

Es war erst wenig Wochen her als das Telefon in der Redaktion klingelte. Ernst Baisch war dran. Es werde jetzt mal Zeit, dass der Schlossberg bebaut werde, meinte der Mann am anderen Ende der Leitung. Was folgte, war ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, die historische Baulücke in der Böblinger Altstadt endlich zu schließen. Wenige Tage zuvor hatte der Böblinger Gemeinderat darüber debattiert.

Große Vorfreude auf das große Fest

Am Puls der Zeit, engagiert, mit einer klaren Meinung unterwegs und geistig äußerst rege: So wie sich Ernst Baisch an diesem Tag wieder einmal für sein Herzblut-Objekt verkämpfte, kannte man ihn: Einer, der für seine Heimatstadt brennt und sie kennt wie kein anderer – obwohl er schon fast 70 Jahre in Sindelfingen lebte. Und ja, demnächst werde er ja 100 Jahr alt, erzählte Ernst Baisch noch voller Stolz und man merkte ihm die Vorfreude auf dieses Fest an. Der Termin war bereits im Redaktionskalender fixiert, ein Besuch beim Jubilar im Sindelfinger Seniorenheim fest geplant: Als wandelndes Böblinger Geschichtsbuch, Macher, Funktionär und Aktivposten wäre dies einen Artikel in der Zeitung wert gewesen.

„Ich halt’ die Ohren steif“, sagte Baisch noch voller Zuversicht, bevor er auflegte. Nun hat Ernst Baisch seinen Ehrentag nicht mehr erlebt. Am Montag ist er gestorben – genau vier Wochen vor dem 100. Geburtstag.

Mitten hineingeboren in eine der größten Familien Böblingens

Geboren ist Ernst Baisch am 8. Juni 1923 – mitten hinein in eine der ältesten und größten Familien Böblingens. Ernst Baisch entstammte den „Seiler-Baischs“, die die Menschen der Stadt mit Tauen und Seilen versorgten. Sein Geburtshaus befand sich wenige Meter entfernt vom Marktplatz. Das Revier des jungen Ernst, der mit acht Geschwistern aufwuchs, waren die Gassen Böblingens und das Areal rund um die Seen.

Aus der Jugendzeit rührte auch der große Erfahrungsschatz von Ernst Baisch. Stundenlang konnte er erzählen von den Streifzügen durch das Böblingen der Zwischenkriegszeit, dem Zeitgeist und den Typen, die damals das aufstrebende Oberamtsstädtchen prägten. Geschichten, die Ernst Baisch nicht für sich behalten wollte. In einem kleinen Bändchen fasste er einige davon zusammen, und als er vor rund zehn Jahren in die „Kanne“ zum ersten Erzählnachmittag lud, quoll die Altstadtkneipe über.

Die Böblinger Boxer verdankten ihm ihren Erfolg

Wer dabei war, lernte viel über die Vergangenheit Böblingens und die Mentalität seiner Menschen. Auch wenn die Perspektive eines jungen Buben im Mittelpunkt stand, manches zugespitzt und bisweilen verklärt gewesen sein mag – Ernst Baisch verstand es, sein Publikum mit trockenen Worten, wachem Geist und knitzem Humor auf die Reise in die Vergangenheit mitzunehmen.

In den frühen 1950er Jahren wurde Ernst Baisch zum Sindelfinger – das Häusle, das ihm dort angeboten wurde, war dafür verantwortlich. Beruflich macht der gelernte Former und Kaufmann Karriere als Geschäftsführer einer Gießerei in Wendlingen. In seiner Geburtsstadt hinterließ er dennoch weiterhin seine Spuren. Nicht nur als Zeitzeuge und Geschichtenerzähler: In den Nachkriegsjahren war er beispielsweise als Abteilungsleiter der SVB-Boxer mit verantwortlich dafür, dass die Stadt zu einer Größe im deutschen Boxsport wurde.

Die Bibelstunden boten Halt

Aber es gab auch Schattenseiten im Leben des Ernst Baisch: Persönliche Schicksalsschläge, die Kriegserlebnisse in Stalingrad und die Mitgliedschaft in der Waffen-SS, die er später als Verirrung eines unreifen jungen Mannes bedauerte. Trost und Halt fand Ernst Baisch stets in seinem tiefen Glauben. Bis ins hohe Alter ging er regelmäßig zu den Bibelstunden ins Diakonissenmutterhaus nach Aidlingen.

Auch als das Alter ihn zum Kürzertreten nötigte, wollte Ernst Baisch noch lange nicht langsam machen: In seinem Seniorenheim war er weiterhin der Aktivposten und Taktgeber – beim täglichen Schwätzle oder der Gründung eines Chores.