29 Jahre lang war Udo Becker Busfahrer. Nun ist er in den Ruhestand verabschiedet worden. Bei einer Fahrt mit seinem geliebten Modells O317G.
Stuttgart - Ganz unspektakulär und mit nur drei Fahrgästen startet die Dienstreise. Pünktlich um 8.42 Uhr setzt der Fahrer seinen Niederflurbus am Obertürkheimer Bahnhof in Bewegung. An der zweiten, spätestens an der dritten Haltestelle beginnt der Mann am Steuer mit der Stirn zu runzeln. „Da hab ich mir die ersten Gedanken gemacht“, sagt Udo Becker später. Einer wie er kennt seine Klientel. Das haben die vielen Jahre als Busfahrer für die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) so mit sich gebracht. Wenn Leute an Haltestellen zusteigen, „wo sie normal nicht hingehören“ (Becker), dann ist da was im Busch.
„Langsam wurde es dann auffällig“, sagt der Wagenlenker, er hatte den Braten schon längst gerochen. Alle paar Hundert Meter steigen dem Bus der Linie 65 Menschen zu, mit denen Uwe Becker in den zurückliegenden Jahrzehnten beruflich oder privat zu tun hatte. Das Alles ist kein Zufall. „Manche haben sich heute extra frei genommen, um Udo die Ehre zu erweisen“, sagt eine Dame, die den Chauffeur seit Ewigkeiten aus dem Verein Stuttgarts Historische Straßenbahnen (SHB) kennt.
Lustig wie beim Ausflug des Kegelclubs
Schon weit vor der Zielstation in Plieningen ist der Bus rappelvoll, der Anteil der normalen Fahrgäste aber verschwindend gering. Sie schauen sich verwundert an, denn die Stimmung ist so ausgelassen wie bei der Sonntagsausfahrt eines Kegelclubs. „So einen fröhlichen Bus hast Du noch nie gehabt“, ruft einer in Richtung des Chauffeurs. Udo Becker grinst nur. Die Überraschung ist gelungen. Und sie wird noch viel größer, als der Tross oben am Plieninger Bahnhof angekommen ist.
Da warten weitere Freunde und Kollegen. Und da steht „Gottlieb Schlenkerle“, ein Linienbus des Modells O317G längst gewesener Zeiten. Das historische Gefährt, von der Erstzulassung 1974 bis zu seiner Ausmusterung 1990 im SSB-Einsatz, ist geschmückt worden mit zwei großen weißen Spruchbändern: „Udo’s letzte Linienfahrt“ und „Fahrt in den Ruhestand“.
Dann heißt es: Der Lotse geht von Bord
„Meistens bin ich nur geschüttelt, aber heute bin ich gerührt“, sagt Udo Becker. Ein bisschen James Bond, ein wenig Alltagserfahrung eines Busfahrers und ein bisschen was von seiner Gefühlslage hat er in diese Worte gepackt. Dann bittet er zum Einstieg. Fast alle der 152 Plätze im Gelenkbus sind besetzt, als es zurück Richtung Plieningen geht. Der moderne Niederflurbus fährt mit einem anderen Fahrer hinter dem Schlenkerle her, um die gewöhnlichen SSB-Kunden an den Haltestellen aufzunehmen.
Gewohnt sicher wie in allen seinen 29 Dienstjahren im öffentlichen Linienverkehr absolviert der bald 63-Jährige die kurvige Fahrt von den Fildern hinunter an den Neckar, auch wenn das 210-PS-Gefährt an manchen Stellen bedenklich in die Knie geht. Als Oldtimerbuschef des SHB kennt Becker den O317G wie seine Westentasche. „Das ist quasi meine Heimatlinie, denn ich wohne ja am Lederberg“, freut sich der angehende Rentner, dass ihn seine letzte Dienstfahrt quasi an der Haustüre vorbeiführt. Becker genießt jeden Meter. Um 10.15 Uhr biegt der Oldie-Bus in Plieningen in die Schlussposition ein. Applaus brandet auf. „Der Lotse geht von Bord“, ruft einer, als Udo Becker den Schlüssel rumdreht und den Fahrersitz verlässt.