Wolfgang Becker ist einer der regelmäßigen Besucher im Begegnungszentrum der Awo. Er bedauert sehr, dass Ilona Gloning bald nicht mehr dort arbeiten wird. Foto: Amelie Englert

Ilona Gloning hat fast 30 Jahre lang im Begegnungs- und Servicezentrum Ostend der Arbeiterwohlfahrt gearbeitet und es lange geleitet. Jetzt hört sie auf – um auf Rucksacktouren zu gehen und um Brot zu backen.

S-Ost -

Für Wolfgang Becker war es schon das dritte Weihnachten ohne seine Frau. An solchen Festtagen fehlt sie dem 90-Jährigen besonders. Er ist sehr froh, dass er den Heiligen Abend trotzdem nicht allein verbringen musste, sondern gemeinsam mit vielen anderen Menschen im Begegnungszentrum der Arbeiterwohlfahrt an der Ostendstraße. Auch Ilona Gloning, die Leiterin des Zentrums, feiert hier seit 29 Jahren ihr Weihnachtsfest. „Wenn ich die Menschen strahlen sehe, fühle auch ich mich wirklich weihnachtlich.“

Nicht nur an Weihnachten kommen ganz unterschiedliche Menschen – vornehmlich aber Senioren – in die Begegnungsstätte. Sie kommen zum Reden, zum Tanzen, zum Singen und zum Lachen, aber vor allem kommen sie, um nicht allein sein zu müssen. Jeden Tag gibt es hier ein Mittagessen; es werden Gesangsstunden, Yoga- und Englischkurse angeboten, und sogar ein Tanzkurs für Demenzkranke ist dabei.

„Für die meisten Besucher ist das Begegnungszentrum eine Art Familienersatz. Viele der Gäste sind schon älter. Unser Angebot richtet sich aber an alle, die eine gute Atmosphäre, ein offenes Ohr oder auch Hilfe suchen“, sagt Ilona Gloning

Sie und ihr Mann wollen einen neuen Lebensabschnitt beginnen

Seit dem Jahr 1987 arbeitet Gloning im Begegnungs- und Servicezentrum. Damals begann sie ihr Sozialpädagogikstudium an der Berufsakademie. Im Rahmen dessen musste sie ein Praktikum machen. Und das machte sie bei der Arbeiterwohlfahrt. „Es hätte für mich nicht besser laufen können“, sagt Ilona Gloning. Nach knapp 30 Jahren am selben Arbeitsplatz können das nur die wenigsten sagen. Darum ist manch einer auch verwundert, dass sie jetzt ihren Job aufgeben will – obwohl sie für die Rente eigentlich noch zu jung ist.

„Das haben mein Mann und ich uns schon lange vorgenommen“, erzählt Ilona Gloning. „Ein wenig früher aufhören zu arbeiten und noch einmal einen ganz neuen Lebensabschnitt beginnen.“

Gemeinsam wollen sie ein bisschen in Haus und Garten werkeln, einfach mal mit dem Auto ohne Ziel losfahren oder mit dem Rucksack durch Europa reisen. „Das haben wir früher unglaublich gern und in den vergangenen Jahren viel zu selten gemacht“, erzählt Gloning. Außerdem will sie endlich mal wieder Brot backen. „Das habe ich seit ewigen Zeiten vor, und bis jetzt hat es nie geklappt.“

Sie hat viel von den Senioren gelernt

Trotz der Pläne fällt auf, dass Ilona Glonings Herz doch sehr an ihrer Arbeit hängt, wenn sie liebevoll von „ihren Pappenheimern“ – den Besuchern – erzählt. „Natürlich wird es nicht einfach sein, zu gehen. Manche Menschen hier habe ich ein großes Stück auf ihrem Weg begleitet, Höhen und Tiefen miterlebt.“

Die Konfrontation mit dem Altwerden, dem Sterben und das Abschied nehmen gehören dazu. „Das ist oft nicht einfach und traurig mit anzusehen“, sagt Gloning. Die Geschichte einer Besucherin ging ihr dabei besonders nah. Mehr als 20 Jahre lang hatte sie täglich mit der alten Dame telefoniert, die zu gebrechlich war, um in das Begegnungszentrum zu kommen. Und eines Tages hob niemand mehr ab.

In puncto Altwerden könne man aber auch viel von den Senioren lernen, erzählt Gloning. „Alter wird oft viel zu defizitär betrachtet. Statt sich zu überlegen, was alles nicht mehr geht, sollte man sich eher darauf konzentrieren, was noch klappt.“ Das funktioniert aus ihrer Sicht gut. „Wer zu uns ins Begegnungszentrum kommt, findet trotz oft herber Verluste oder Krankheiten immer ein Stück seiner Lebensfreude wieder“, erzählt Gloning und strahlt. Das macht sie selbst sehr glücklich und zuversichtlich für ihr eigenes Alter.

Wo sie dieses Jahr Weihnachten feiert, weiß sie noch nicht

Dass diese Menschen wieder Spaß am Leben haben, liegt nicht zuletzt an der Sozialpädagogin und ihrem Team. „Sie hat einfach ein großes Herz für jeden“, sagt Wolfgang Becker. „Wegen ihr komme ich besonders gerne hierher.“ Das spürt man. Ilona Gloning kann beinahe jeden der zahlreichen Besucher mit Namen ansprechen, findet immer ein freundliches Wort und einen Platz zum Sitzen.

„Man bekommt aber auch sehr viel zurück“, sagt Gloning. Die Anteilnahme an ihrem Abschied sei sehr groß und der emotionale Zuspruch der Besucher tue ihr gut. „Ich weiß ja auch noch nicht genau, wohin die Reise geht“, sagt sie lachend. Wolfgang Becker hat auf jeden Fall fest geplant, auch im nächsten Jahr wieder mit Frau Gloning Weihnachten zu feiern. „Das ist immer so schön“, sagt der alte Herr.

Versprechen kann Ilona Gloning ihm das allerdings noch nicht, denn vielleicht sind sie und ihr Mann dann gerade irgendwo in Europa mit dem Rucksack unterwegs – oder beim Brotbacken.