Startänzer Marijn Rademaker - wir haben in unserer Bildergalerie einige Eindrücke aus seiner Karriere gesammelt Foto: Stuttgarter Ballett

Am 26. Oktober wird Marijn Rademaker bei einem Gastspiel des Stuttgarter Balletts in Bangkok sein Debüt als „Onegin“ geben. Das Stuttgarter Publikum aber wird den Holländer in der vielleicht größten Männerrolle, die John Cranko geschaffen hat, so schnell nicht zu Gesicht bekommen.

Stuttgart - Wie das Stuttgarter Ballett am Donnerstagabend meldete, verlässt Marijn Rademaker zum 1. Januar 2015 die Kompanie und wechselt zum Holländischen Staatsballett nach Amsterdam, wo er bereits häufig gastierte.

Der in Nimwegen geborene Tänzer, der im Jahr 2000 direkt im Anschluss an seine Tanzausbildung Mitglied des Stuttgarter Balletts wurde, kehrt also in seine Heimat zurück. Heimweh? Auch Tänzer, die für ihre Ausbildung oft als Teenager ihr Elternhaus verlassen, sind nicht gefeit dagegen.

Marijn Rademaker, der in Amsterdam, Arnheim und Den Haag zum Tänzer ausgebildet wurde, erklärt seinen Abschied aus Stuttgart damit, dass er als Künstler und als Mensch einen neuen Weg einschlagen wolle.

„Einerseits freue ich mich sehr, wieder nach Hause zu meiner Familie zurückzukehren, andererseits bin ich auch traurig, mein jetziges Zuhause zu verlassen“, sagt Rademaker. „Ich werde Stuttgart sehr vermissen. Das Stuttgarter Ballett hat mir so viel gegeben. Hier bin ich zu dem Tänzer herangewachsen, der ich jetzt bin. Das habe ich mit Sicherheit Reid Anderson und der ganzen Kompanie zu verdanken. Ich habe hier gelernt, was Tanzen eigentlich ist, was es bedeutet und wie man es richtig macht.“

Wie man richtig tanzt? Marijn Rademaker ist ein Bühnenkünstler, der sein Publikum tatsächlich immer wieder staunen macht. Dass er jüngst auch die letzten großen Stuttgarter Rollen, die in seinem Repertoire noch fehlten, in Angriff genommen hat, wirkt im Rückblick fast wie ein Arrondieren vor dem Abschied. Der blonde Danseur noble, eher auf die Prinzenrolle abonniert, durfte sich da als Petrucchio in „Der Widerspenstigen Zähmung“ behaupten; in Bangkok folgt am 26. Oktober sein Debüt als Onegin.

In Stuttgart war Marijn Rademaker der Prinz in „Dornröschen“ und „Schwanensee“, er war Basil in „Don Quixote“, er war Romeo. Und er war ein Armand, der gleich bei seinem Debüt an der Seite von Sue Jin Kangs „Kameliendame“ sich mit solch vehementer Leidenschaft in diese Schicksalsgeschichte stürzte, dass ihn Reid Anderson noch auf der Bühne zum Ersten Solisten beförderte. So wunderbar glückte es dem Tänzer, Empfindungen zu intensivieren, dass in Internetforen ausgiebig darüber diskutiert wurde. Von der „außergewöhnlich berührenden Interpretation der beiden Hauptdarsteller“, schwärmte da eine Zuschauerin: „Der Rausch der Gefühle und die Ekstase bis zur schieren Erschöpfung im Pas de deux des zweiten Aktes, als ob das Paar vor gegenseitiger Liebe fast die Besinnung zu verlieren schien, war nur eine der großartigen Stimmungen jenes Abends.“

Die großen Rollen machten Marijn Rademaker zu einem der Stuttgarter Publikumslieblinge. Und doch: Am beeindruckendsten ist dieser Tänzer, wenn er mit Choreografen arbeiten kann, wenn er nicht nur alles richtig machen, sondern dem Tanz eine Tiefe ergründen darf, die ein bisschen auch seine eigene ist. Im Dialog mit Marco Goecke zum Beispiel. So abgründig-schön wie Marijn Rademaker tanzt in Stuttgart niemand Goeckes Solo „Äffi“. Wie die Skulptur eines antiken Athleten wirkt Rademaker in diesem düsteren Monolog zu Beginn, dann fährt der Tanz ganz nervös in ihn. Und in „On Velvet“, dem jüngsten Stück Goeckes, begab sich der Stuttgarter Haus-Choreograf mit seinem Solisten auf die Suche nach den Ängsten und nach dem Glück – nach Gefühlen, die sich mit dem Theater als Ort verbinden.

Als er nach Stuttgart kam, sagte Marijn Rademaker, dass er klassische Ballette bevorzuge: Da könne man an der eigenen Technik arbeiten. Nur wenige Spielzeiten später und nach der Zusammenarbeit mit Choreografen wie Christian Spuck, Wayne McGregor und Marco Goecke hatte sich für den Tänzer der Akzent verschoben. Vermissen wird man Marijn Rademaker aber auch, wenn Werke von Hans van Manen auf dem Spielplan stehen. Muss man Holländer sein, um das so kühl und klar tanzen zu können? Diese Frage stellte man sich zuletzt beim Blick auf die „Frank Bridge Variations“ van Manens, als Rademakers klar in den Raum gezirkelte Gesten spüren ließen, dass sich da ein Traum erfüllt. Und so ist das der einzige Trost, der dem Stuttgarter Publikum bleibt: Bei van Manens Werk in Amsterdam ist Marijn Rademaker nicht am falschen Ort. Mit ihm ist zudem seit acht Jahren zum ersten Mal wieder ein Niederländer Erster Solist beim Het Nationale Ballet.

Ein Ausnahmetänzer, ein Publikumsliebling und ein wundervoller Mensch sei Marijn Rademaker, sagt Intendant Reid Anderson zum Abschied. „Wir werden ihn sehr vermissen und wünschen uns, dass er als Gast weiterhin hier tanzen wird.“