Kritisiert die Behörden für ihre Vorgehensweise in Mannheim: der Innenpolitiker der Grünen im Landtag, Hans-Ulrich Sckerl. Foto: dpa

Ein Fall aus Mannheim erregt die Gemüter: Um die Abschiebung einer Familie realisieren zu können, holt die Polizei zwei Kinder aus Schule und Kindergarten. Grüne und SPD im Landtag echauffieren sich über dieses Vorgehen.

Mannheim - Zwei uniformierte Polizisten warten am 10. Dezember auf dem Flur des dritten Stocks in der Mannheimer Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule, als Rektorin Birgitta Hillebrandt in ein Klassenzimmer geht und einen elf Jahre alten albanischen Schüler aus dem Unterricht holt. Weil dessen Familie an diesem Nachmittag in die Heimat abgeschoben werden soll, nehmen die beiden Beamten den Jungen mit – erst zu seinen Eltern, später zu einem Sammelpunkt für die Rückführung in Karlsruhe. Parallel zu dem Jungen wird seine kleine Schwester von der Polizei aus dem Kinderhaus St. Michael in der Neckarstadt-West abgeholt.

Ihr Kollegium sei über die Vorgehensweise empört gewesen, sagt Schulleiterin Hillebrandt dem „Mannheimer Morgen“. Auch die Klassenkameraden des Kindes hätten darunter gelitten. Zwei Lehrer und eine Sozialarbeiterin seien zwei bis drei Tage damit beschäftigt gewesen, diese zu beruhigen.

Bei den Kindern im Kindergarten bleibt die Aktion laut dem Leiter der Caritas-Einrichtung, Jörg Ohrnberger, ohne negativen Folgen. Für sein Team und ihn allerdings sei es „ein Schock“ gewesen, sagt Ohrnberger. Er habe so etwas noch nie erlebt.

SPD thematisiert den Fall im Landtag

Der Fall beschäftigt nicht nur die Erzieher und Pädagogen in Mannheim. Mehrere Abgeordnete von Grünen und SPD im Landtag mokieren sich über die Vorgehensweise und haken in einer Regierungsbefragung vor Weihnachten bei Innenminister Thomas Strobl (CDU) nach, warum es nötig gewesen sei, Kinder für eine Abschiebung aus der Schule und dem Kindergarten abzuholen.

Der Mannheimer SPD-Abgeordnete Boris Weihrauch sagt, dies sei ein weiterer Fall von „fragwürdigem Regierungshandeln im Stadtkreis Mannheim“ gewesen. Es gehe nicht darum, rechtsstaatliche Verfahren infrage zu stellen. Aber bei der Art und Weise einer Abschiebung müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Weihrauch kritisiert insbesondere, dass die Kinder sich „innerhalb von wenigen Minuten ohne elterlichen oder psychologischen Beistand“ von ihrem Umfeld haben verabschieden müssen.

Auch der grüne Koalitionspartner attackiert Strobl: Die Mannheimer Abgeordnete Elke Zimmer mutmaßt, dass die Aktion auch ein traumatisches Erlebnis für die Mitschüler gewesen sei. Und ihr Fraktionskollege Hans-Ulrich Sckerl sagt, das Vorgehen der Behörden in diesem Fall sei „beschämend und nicht unsere Politik“.

Strobl: In der Regel keine Abschiebungen aus dem Unterricht heraus

Im Jahr 2018 sind im Land insgesamt 3018 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben worden. Strobl sagt, Situationen wie die in Mannheim seien „ohne Zweifel unschön“. Deshalb versuche man, sie zu vermeiden. In aller Regel gebe es in Baden-Württemberg keine Abschiebungen aus dem Unterricht heraus. In diesem Fall sei eine Ausnahme jedoch „unabdingbar“ gewesen, weil der Flug gen Balkan gegen 14.30 Uhr terminiert gewesen sei und und die Freiheitsbeschränkung für eine Rückführung nur auf das notwendige Maß beschränkt werden dürfe. Die Polizei habe die Familie insofern nicht vor Schulbeginn abholen können. Strobl betonte, die Verantwortung für die Entstehung der Situation habe bei den Eltern gelegen. Sie seien über ihre Ausreisepflicht informiert gewesen, dem aber nicht nachgekommen. Sie hätten sich daher „grob verantwortungslos- und rücksichtslos gegenüber ihren und den anderen Kinder verhalten“.

Um solche Szenarien zu vermeiden und die Arbeit der Polizei zu erleichtern, setzt Strobl sich auf Bundesebene für die Wiedereinführung der kleinen Sicherungshaft ein. Sie ermöglicht, dass vollziehbar ausreisepflichtige Personen vor ihrer Abschiebung für bis zu zwei Wochen in Gewahrsam genommen werden können. Den Vorwurf, ihm gehe es nur darum, die Abschiebezahlen zu erhöhen, kontert Strobl entschieden. Es gehe nicht um einen profanen Wettbewerb – sondern um die Durchsetzung des Rechtsstaats. „Darauf werden wir auch in Zukunft nicht verzichten.“