Kelvin Akuanyionwu (links) packte schon im Frühjahr vor drei Jahren freudig zu, als der Bauhof Kernen Ein-Euro-Jobs anbot. Foto: Eva Herschmann/Archiv

Ende 2015 kam der Nigerianer Kelvin Akuanyionwu in die Gemeinde, seit Jahren hat er einen festen Arbeitsplatz. Nun tauchte die Polizei überraschend auf – um den Mann abzuschieben. Nicht nur sein Arbeitgeber ist fassungslos.

Kernen - Vor vier Jahren ist Kelvin Akuanyionwu aus seinem Heimatland Nigeria geflüchtet. Nun ist er abermals auf der Flucht, auf der Flucht vor der Abschiebung. Am vorigen Donnerstag tauchte die Polizei überraschend an seinem Arbeitsplatz auf – im Vorgriff für den am Montag in Frankfurt anberaumten Abschiebeflug. Akuanyionwu sollte seine Sachen in Rommelshausen packen. Doch er zwängte sich durch ein Toilettenfenster im ersten Stock der Anschlussunterbringung, verschwand und tauchte unter.

Die Beamten hofften jedes Mal, Hinweise auf den Flüchtigen zu bekommen

„Wir wissen nicht, wo er ist“, sagt Lothar Schaechterle vom Arbeitskreis (AK) Asyl Kernen. Auch Hermann Schöllkopf weiß das nicht – und will es besser nicht wissen. Der Waiblinger Bäckermeister ist Akuanyionwus Arbeitgeber und bekam seit Donnerstag wiederholten Besuch von der Polizei. Die Beamten hofften jedes Mal, Hinweise auf den Flüchtigen zu bekommen. Kelvin Akuanyionwu ist in Kernen durchaus bekannt. Seit Dezember 2015 lebte er in der Gemeinde, anfangs in Stetten, dann in Rommelshausen. Der 40-Jährige „regelt vieles selbst“, sagt Günther Wahler vom AK Asyl, weshalb nicht viel über ihn bekannt sei. Er könne gut vermitteln, schildert Wahler seine Eindrücke. „Innerhalb der Wohngemeinschaft von Afrikanern in der Seestraße war er der Boss“, sagt der AK-Kollege Wolfgang Bantel zu dessen anerkannter Selbstständigkeit. 2016 brachte sich Akuanyionwu als Ein-Euro-Jobber beim Bauhof Kernen ein, wenig später fand er auf eigene Initiative eine Beschäftigung bei Schöllkopf. Teige formen gehörte seit Juli 2016 zu seinen Aufgaben.

Der Asylantrag des Mannes wurde abgelehnt

„Etwa Brezeln schlingen“, erklärt sein Chef, der sich regelmäßig um eine Verlängerung der Arbeitserlaubnis seines Schützlings kümmerte. „Er ist voll integriert und in unseren Arbeitsablauf eingebunden“, formulierte Schöllkopf zuletzt: „Wir sind auf seine Mitarbeit angewiesen, da es auf dem Arbeitsmarkt derzeit keine geeigneten Bäcker-Bewerber gibt.“ Das Ausländeramt im Landratsamt folgte dem Antrag und teilte mit, „dass mit Rücksprache des Regierungspräsidiums Karlsruhe die Beschäftigung weiter gestattet wird“. Konkret bis zum 18. Juli 2020. Wo also ist das Problem, weshalb sollte Kevin Akuanyionwu abgeschoben werden, der integriert ist und keinem auf der Tasche liegt? Weil in den Tiefen des Ausländerrechts ein Fall wie dieser nicht vorgesehen ist. Der Asylantrag des Mannes wurde abgelehnt. Warum, ist dem Arbeitskreis Asyl nicht bekannt. Die Hoffnung ruhte gleichwohl auf einer von Januar an möglichen sogenannten Beschäftigungsduldung. Sie soll eigentlich ausreisepflichtigen Geflüchteten eine Perspektive bieten, wenn sie „nachhaltig Beschäftigte“ sind. Bis jetzt heißt das Ermessensduldung, hat aber die gleiche Intention.

Er hat auch, wie gefordert, an seiner Identitätserklärung mitgewirkt

„Dadurch werden wir weitestgehend vermeiden, dass im Laufe dieses Jahres Ausländer abgeschoben werden, obwohl sie bereits die Voraussetzungen der künftigen Beschäftigungsduldung erfüllen“, sagte der Innenminister Thomas Strobl (CDU) im Frühjahr. Die Krux im Fall Akuanyionwu: Er muss für diese Ermessensduldung seit mindestens einem Jahr im Besitz einer Duldung sein. Doch er hat sie erst seit Juni. „Eine Duldung will man nicht, so lange man auf Anerkennung des Asylantrags hofft“, sagt Fara Peccerella vom AK-Asyl. Alle anderen Voraussetzungen hat er indes erfüllt. Er hat auch, wie gefordert, an seiner Identitätserklärung mitgewirkt – und dafür seinen Pass im Ausländeramt abgegeben. „In gutem Glauben“, wie sie sagt. Das bekam der Nigerianer bestätigt, ein Haken im Feld „Ausweisdokument wurde zur Durchsetzung der Ausreisepflicht einbehalten“ war explizit nicht gesetzt. Hermann Schöllkopf ist schwer betroffen, dass aber genau das passierte. „Und ich habe ihm noch dazu geraten.“

Von 160 Geflüchteten auf versorgtem Weg in die Integration hätten derzeit nur 17 eine Duldung

Der Bäckermeister sieht sich und Akuanyionwu betrogen. Mit dem Vorlegen des Passes könne die Arbeitserlaubnis gesichert werden, habe es geheißen, sagt der Waiblinger, der für die CDU als Stadtrat und auch im Kreistag aktiv ist. Die Chancen, dass Akuanyionwu doch noch bleiben kann, seien schlecht, hat Schöllkopf beim Nachfassen im Innenministerium erfahren. Gleichwohl gibt er nicht auf, hat Abgeordnete und den Landrat informiert. Auch die Mitglieder des AK Asyl Kernen hoffen auf politische Hilfe.

„Während wir hier in besinnlicher Zeit sind, lebt Kelvin in Angst und Schrecken“, sagt Jürgen Wolfer. „Er muss in Panik gewesen sein“, sagt die Mitstreiterin Fara Peccerella über die Flucht ihres ehemaligen Schützlings. „Unsere Hoffnung liegt auf dem Ermessen bei der Ermessensduldung.“ Die Regelung zur Beschäftigungsduldung greife in Kernen „weitgehend ins Leere“, fasst Günter Wahler seine Kritik weiter. Von 160 Geflüchteten auf versorgtem Weg in die Integration hätten derzeit nur 17 eine Duldung, hat er errechnet. „Die Kriterien für die Beschäftigungsinitiative sind einfach zu hoch.“

Hermann Schöllkopf beschäftigt weitere Geflüchtete in der Backstube, zwei in der Ausbildung. „Die zuckten jedes Mal zusammen, wenn die Polizei kam.“ Den Arbeitsplatz von Kelvin Akuanyionwu will er so lange wie möglich für ihn freihalten.