Der Mindestlohn steigt in den kommenden Jahren weiter an – wohl ohne die erstrebte Ausnahme für die Landwirtschaft. Für einen Stuttgarter Obstbauern längst nicht das einzige Ärgernis.
Wenn Christian Hörnle über seinen Job spricht, steigt sein Adrenalinspiegel gefühlt von Minute zu Minute an. Der 46-Jährige ist von Beruf Obstbauer und betreibt den Familienbetrieb Obsthof Hörnle in Stuttgart-Weilimdorf in der dritten Generation. Angesprochen auf die bisher gescheiterten Versuche der organisierten Landwirte, den steigenden Mindestlohn für ausländische Saisonarbeitskräfte auf 80 Prozent zu begrenzen, platzt es aus ihm heraus: „Es ist ja nicht nur der Mindestlohn, es ist die gesamte Entwicklung in unserer Branche!“
Hörnle wüsste gar nicht, wie er ohne die drei Frauen aus Rumänien, die ihm alljährlich bei der Ernte von Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren oder Baumobst wie Äpfeln zur Hand gehen, stemmen sollte. „Natürlich sind die das wert!“, sagt er über den aktuellen Stundenlohn von 12,82 Euro, der nächstes Jahr auf 13,90 Euro und für 2027 auf 14,60 Euro festgelegt ist. „Das Problem ist nur, dass ich das nicht ohne Weiteres an die Kunden weitergeben kann!“ Bei Christian Hörnle ist das Ausrufezeichen quasi bei jedem Zitat gefragt, weil er die Stimme entsprechend erhebt.
Türkische Wassermelonen statt heimische Erdbeeren
Dem Kleinunternehmer und Direktvermarkter, dessen Betrieb auf etwa 10 Hektar angesiedelt ist, macht nicht nur die Politik, sondern die ganze Gesellschaft Sorgen. Nach seinem Eindruck verzichten viele Menschen ganz auf Obst („Das brauchst du ja nicht zum Überleben!“), andere kauften schon ab April auf dem Markt lieber zuckersüße türkische Wassermelonen („Die sind die Konkurrenz für meine Erdbeeren!“) und selbst diejenigen, die Obst aus regionaler Erzeugung bevorzugen, seien nicht einfach zufriedenzustellen. Es würden nur kleine Schalen nachgefragt („Es kocht ja keiner mehr ein!“) und für die zweite Wahl habe er kaum mehr Verwendung. „Der Absatz einheimischer Ware ist rückläufig“, sagt Christian Hörnle – und er verkaufe im Hofladen und auf den Wochenmärkten mit der einzigen Ausnahme Zitronen eben nur Einheimisches.
Jedes Jahr Urlaub ist für den Bauern aus Stuttgart nicht drin
Sein Aufwand steige in vielen Bereichen. Der Klimawandel bringe mehr Sonne oder auch Hagel, weshalb er Schutzsysteme aufbauen muss. Die Spezialmaschinen, die er benötige, gebe es nicht wie zum Beispiel Mähdrescher bei Maschinenringen zu leihen. Also müsse er investieren. Und die Politik sattle immer mehr drauf. So müsse er vom nächsten Jahr an nicht nur wie bisher eingesetzte Pflanzenschutzmittel dokumentieren, sondern auch noch innerhalb von 30 Tagen online melden. Wieder mehr an Bürokratie, die ihn Zeit koste. Und Standards, die Konkurrenten auch aus dem EU-Ausland sich sparen können. Ebenso wie den deutschen Mindestlohn, der in fast allen EU-Ländern teils deutlich geringer ausfalle.
„Ich als Chef habe keinen Mindestlohn!“, sagt Hörnle und schließt den Kreis. „Ich arbeite sieben Tage die Woche, das will ich gar nicht ausrechnen“, sagt er weiter, „und ich kann nicht jedes Jahr in den Urlaub.“
Christian Hörnle ist einer, der das Ganze im Blick hat, der sich als Vorsitzender des Obstbaurings Stuttgart auch für Kolleginnen und Kollegen engagiert. Er sagt aber: „Es wird immer schwieriger für mich, und das hat viele Ursachen.“ Jedes Jahr müsse er prüfen, ob es sich noch lohnt, die jeweiligen Obstsorten anzubauen. Wenn nicht, „schiebe ich sie im nächsten Winter halt zusammen“. Sprich: Er macht die Kulturen mit dem Traktor platt. Diese Frage stellt sich derzeit vor allem bei Sauerkirschen und Zwetschgen.
Noch ist es nicht so weit, noch kann der Kleinbetrieb in Weilimdorf im Wettbewerb mit Großbetrieben auf der ganzen Welt seinen Schnitt machen. Natürlich, indem er – anders als die Händler, die im großen Stil im Ausland einkaufen – regelmäßig die Preise erhöht. „Aber das können sich die Leute irgendwann nicht mehr leisten, nicht in der Masse, die nötig wäre!“ Christian Hörnle sieht schon ziemlich schwarz – mit dem Anstieg des Mindestlohns noch ein bisschen mehr.
Der Anbau geht zurück
Mini-Ernten
Sowohl Erdbeeren als auch Spargel sind auf heimischen Feldern erneut weniger geerntet worden als im Vorjahr, und zwar auf verkleinerter Anbaufläche, wie das Statistische Bundesamt auf der Grundlage erster Schätzungen berichtet. Bei den Freiland-Erdbeeren zeichnet sich mit 75.500 Tonnen die geringste Ernte seit 30 Jahren ab. Das sind 4 Prozent weniger als die ohnehin schon geringe Menge aus dem Vorjahr. Der langjährige Mittelwert wird um ein rund ein Viertel verfehlt. Ähnlich sieht es beim Freiland-Spargel aus: 98.900 Tonnen bedeuten den geringsten Wert seit 2010.
Preise
Nach den Erhebungen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) mussten private Verbraucher in dieser Saison für ein Kilogramm weißen deutschen Spargel im Schnitt 9,63 Euro zahlen, rund 4 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Das Kilogramm heimischer Erdbeeren kostete in der Hauptsaison zwischen Mai bis Mitte Juli mit 6,86 Euro nur geringfügig mehr als ein Jahr zuvor (6,83 Euro). Doch der Vergleich zu 2015 zeigt einen Preisanstieg von rund 70 Prozent. (dpa)