Cem Özdemir hat in einer furiosen Rede mit der AfD im Bundestag abgerechnet. Foto: dpa

Die AfD hat den Parlamenten ihren Stempel aufgedrückt. Auch die Redekultur hat sich deutlich verändert. Der Ton ist ruppiger geworden. Die gegnerischen Politiker steigen zudem mit mehr Leidenschaft in den Ring – zuletzt der Grüne Cem Özdemir im Bundestag.

Stuttgart - Es weht ein zunehmend rauer Wind durch den Bundestag. Mit dem Einzug der AfD ist der Umgang zwischen manchen Fraktionen ruppiger geworden, und die Redekultur hat sich deutlich verändert. Positiv formuliert: die Politiker steigen mit mehr Leidenschaft in den Ring.

Ein Beispiel für den neuen Umgang im Bundestag hat Cem Özdemir geliefert – und einen Internet-Hit gelandet. Der frühere Grünen-Chef hat in einer furiosen Rede mit der AfD abgerechnet und ihr Rassismus sowie Verachtung des demokratischen Systems der Bundesrepublik vorgeworfen. Die AfD sei „aus demselben faulen Holz geschnitzt“ wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der Journalisten verhaften lasse, sagte Özdemir in einer von der AfD beantragten Debatte über umstrittene alte Texte des aus türkischer Haft freigekommenen Journalisten Deniz Yücel. Indirekt rückte Özdemir die AfD in die Nähe von Nazis. „In unserem Land, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Gleichschaltung, von der sie nachts träumen, bei uns gibt es Pressefreiheit.“

Cem Özdemir ist überzeugt, dass der Kampf gegen die AfD ein Kampf für die Demokratie ist. „Im Parlament erleben wir gerade eine permanente Grenzverschiebung. Monat für Monat radikalisiert sich die AfD weiter. Die Peinlichkeiten der AfD zielen in Wahrheit nicht auf einzelne Person oder Parteien, sie sind ein Angriff auf unseren gemeinsamen Grundkonsens in Deutschland, die gemeinsame Wertebasis unserer Demokratie“, sagte er unserer Zeitung. Die AfD verachte unseren liberalen Staat, sie lehne alles ab, wofür dieses Land in der ganzen Welt geachtet und respektiert werde. Özdemir: „Die AfD redet von Pressefreiheit und träumt von Zensur.“

Der Grünen-Politiker macht deutlich, dass in dieser Situation alle Demokraten zusammenstehen müssten. „Ich wollte für die vielen Menschen in diesem Land reden, denen die Intoleranz der AfD zuwider ist – egal, welcher Partei sie nahe stehen“, erklärt Özdemir. „Meine Worte waren für alle gedacht, die sich ihre liberale und weltoffene Heimat nicht kaputt machen lassen wollen von den Höckes und Poggenburgs. Der Verlauf der gestrigen Debatte und die zahlreichen positiven Reaktionen haben gezeigt, das sind viele.“

Heftiger Schlagabtausch mit der AfD

Özdemir ist nicht der erste, der sich die Aussagen der Alternative für Deutschland mit Furor vorknöpfte und auf diese Weise zum Internet-Hit wurde. Einschlägige Erfahrungen im verbalen Schlagabtausch mit der AfD hat auch Hans-Ulrich Rülke. Der Chef der FDP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg wurde mit einer grandiosen Replik bekannt, die sich im Internet bundesweit schnell verbreitete und es – durch einen vom ihm geschickt eingesetzten Trick – bis in die „Heute Show“ schaffte. Sein Ziel sei gewesen, die Inhaltsleere und die plumpen Tricks dieser Partei zu entlarven, sagte er nach seinem Auftritt.

„Wenn man sich provozieren lässt und die AfD attackiert, versucht sie sich als Opfer zu inszenieren“, sagt Rülke über seine inzwischen rund zweijährige Erfahrung mit der Partei im Landtag. „Man sollte deshalb der AfD aber nicht alles durchgehen lassen und sie ignorieren – wie manche vorschlagen –, weil sie sonst wieder behauptet, niemand widerspreche ihrer Hetze, somit habe sie Recht.“

Die AfD mit den eigenen Mitteln geschlagen

Dass Hans-Ulrich Rülke bei seiner Rede ausgerechnet die Bühne in Landtag nutzte, die die AfD zur Selbstdarstellung vorbereitet hatte, gab seinem Auftritt eine würzige Note. Die von der AfD anberaumte Debatte hieß etwas sperrig: „Gefahr für die Demokratie durch zunehmende Missachtung der demokratischen Spielregeln durch gewählte Volksvertreter“. Rülke ergriff die Gelegenheit und hob an: „Wir haben überlegt, was damit gemeint sein könnte und kamen zum Schluss: Es kann sich eigentlich nur um ein Selbstgespräch der AfD handeln.“

Gezielter Gag mit der „Heute Show“

Zum Internet-Hit wurde die Rede aber vor allem durch einen gezielt eingebauten Gag mit der „Heute Show“. In seiner Rede nannte Rülke den umstrittenen AfD-Politiker Björn Höcke nämlich „Bernd Höcke“. Die AfD-Fraktion ging ihm auf den Leim, stellte in Zwischenrufen klar, dass der Name falsch sei. Rülke konterte: „Der Mann heißt Bernd. Das weiß ich aus der Heute Show.“ Von den Machern der TV-Sendung wurde dieser Satz dankbar aufgenommen und im ZDF gesendet – spätestens damit war die Rede bundesweit bekannt.

Verbale Scharmützel mit der AfD

Angesichts seiner Rede ist Rülke noch heute offensichtlich stolz. „Was meine Rede anlangt, so haben mir viele Menschen geschrieben, dass ihr genau dies geglückt sei; dass genau dies bislang im Umgang mit der AfD auch gefehlt habe. Das ist wohl der Grund für den Erfolg dieser Rede.“

Özdemir und Rülke sind nicht die einzigen Politiker, die sich in verbale Scharmützel mit der rechtspopulistischen Partei stürzten – und dafür im Internet gefeiert wurden. Die Grünen-Politikerin Britta Haßelmann versetzte mit einer rasanten Rede zur Diätenerhöhung der Politiker im Bundestag sogar ihre Kollegen von der CDU in Begeisterung.

Der AfD Scheinheiligkeit vorgeworfen

Der Ausgangspunkt war, dass die AfD die Diätenerhöhung öffentlich im Parlament geißelte, sich dann aber von Britta Haßelmann minutiös vorhalten lassen musste, im Vorfeld nichts dagegen getan zu haben – obwohl die Partei mehrfach die Gelegenheit gehabt habe. Da „werden heute die Backen so aufgeblasen. Wie scheinheilig ist das denn?“ rief die Politikern in Richtung rechter Seite des Parlaments. Wer meine, den Bundestag auf diese Weise vorführen zu können, „der muss früher aufstehen“. Die Begeisterung im Bundestag war fraktionsübergreifend groß – außer auf Seiten der AfD. Das Video ihres Auftrittes wurde ebenfalls tausendfach geteilt.

Hans-Ulrich Rülke hat seine Lehren aus dem Auftreten der AfD gezogen. Sein Rat nicht nur an die Politikerkollegen in den Parlamenten lautet: „Der richtige Weg ist wohl, der AfD entschieden entgegen zu treten, aber nicht mit Schaum vor dem Mund, sondern man muss sie demaskieren und am Ende der Lächerlichkeit preisgeben. Letztlich ist sie nämlich von ihrer politischen Substanz her schlicht lächerlich.“