Das Coronavirus wird absehbar endemisch Foto: dpa/Matthias Balk

Laut RKI geht es nicht mehr darum, jede einzelne Infektion zu verhindern. Die Landesregierung muss nach einem Gerichtsurteil die Coronamaßnahmen lockern – und schlägt völlig neue Regeln für Tests vor.

Stuttgart - Wissenschaft und Politik leiten in Sachen Corona die Wende zur endemischen Phase ein – teils freiwillig, teils unter Zwang. In Baden-Württemberg soll nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim die bisher „eingefrorene“ Alarmstufe II mit starken Beschränkungen für Ungeimpfte kommende Woche aufgehoben werden. Das erklärte eine Sprecherin von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die Richter hatten es für teilweise rechtswidrig erklärt, dass die Regierung trotz relativ entspannter Lage in den Kliniken an schärferen Regeln festhält. Geklagt hatte ein nicht geimpfter Student.

Die Landesregierung will das Stufensystem beibehalten und Coronamaßnahmen weiter an der Zahl der Krankenhaus- und Intensivpatienten mit Covid-19 ausrichten. Details sind nicht bekannt, man wolle die Bund-Länder-Beratungen am Montag abwarten. „Auch in der Omikron-Welle geht es darum, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu bewahren“, so Kretschmanns Sprecherin. Die Landesregierung hatte die Alarmstufe II laut Kretschmann eingefroren, weil „die Infektionszahlen explosionsartig in die Höhe schießen“ und man mehr Krankenhauseinweisungen erwarte.

Nur leichter Anstieg bei Covid in Kliniken

Das ist nur bedingt eingetreten: Seit Dreikönig stieg die Zahl der Covid-Patienten in den Kliniken von 600 auf etwa 700. Kretschmann müsse „einsehen, dass er nicht rein willkürlich Coronapolitik betreiben kann“, sagte der FDP-Vorsitzende im Landtag, Hans-Ulrich Rülke. Coronaregeln müssten sich an Faktoren bemessen, „die für die Bürger nachvollziehbar, rechtskonform und an der Belastbarkeit des Gesundheitssystems ausgerichtet sind“.

Darauf zielen auch neue Kennziffern des Robert-Koch-Instituts (RKI). Man könne nicht mehr einzelne Infektionen verhindern oder alle Kontakte von Infizierten ermitteln: „Wenn so viele Menschen infiziert sind wie aktuell, dann ist es nicht mehr wichtig, ob die Inzidenz bei 1000 oder 1200 liegt“, sagte ein RKI-Epidemiologe. Entscheidend sei die Krankheitsschwere, „die können wir mit den anderen Instrumenten abschätzen als mit der Inzidenz“. Das bedeute ausdrücklich nicht, dass das Virus nicht mehr gefährlich sei.

Neue Corona-Kennziffer

Konkret weist das RKI seit dieser Woche die Zahl von Coronapatienten aus, die einen Arzt aufgesucht haben. Auch über Krankenhauseinweisungen wird detaillierter berichtet als bisher. Dafür nutzt das Institut bestehende Meldesysteme etwa für Grippewellen. Demnach erkrankten vergangene Woche 0,5 bis 1,1 % der Über-15-Jährigen mit Symptomen an Covid-19 – „deutlich mehr“ als in der zweiten und dritten Welle, so das RKI im aktuellen Lagebericht. Die Zahl von Covid-Patienten in Krankenhäusern und auf Intensivstationen ist dagegen niedriger.

Die Abkehr von der Inzidenz ist auch der Tatsache geschuldet, dass es absehbar zu wenig Kapazitäten gibt, um alle Verdachtsfälle mit PCR-Tests abzuklären. Auf Betreiben Berlins und Baden-Württembergs soll die Gesundheitsministerkonferenz diesen Samstag auf Änderungen der Testverordnung drängen. Symptomlose mit positivem Selbsttest oder einem Alarm in der Corona-Warn-App hätten dann nicht länger Anspruch auf einen PCR-Test, heißt es in der Beschlussvorlage. Aus der Quarantäne könne man sich mit einem „qualitativ hochwertigen“ Schnelltest freitesten. Angestrebt wird eine „große Selbsttestkampagne“.