Junge Norwegerinnen lassen es vor der Reifeprüfung richtig krachen. Foto: AP

Wochenlang feiern, tanzen und trinken die norwegische Abiturienten in speziellen Partybussen. Und das vor den Prüfungen. Weil immer mehr Schüler betrunken im Unterricht erscheinen, ruft Ministerpräsidentin Erna Solberg nun zur Mäßigung auf.

Oslo - In keinem Land der Welt feiern Abiturienten ihren Abschluss traditionell so ausgiebig wie in Norwegen. Die sogenannten Russe-Feierlichkeiten beginnen zwischen dem 20. März und dem 1. Mai und gehen bis zum Nationalfeiertag am 17. Mai. Dann trinken und tanzen die Schüler des Königreichs jede Nacht in eigens dafür gekauften und angemalten Partybussen. Der Haken: Die Schüler haben ihr Abi noch gar nicht in der Tasche.

In den Wochen nach dem Endlosbesäufnis folgen die vier großen Abschlussprüfungen. Auch während der „Russezeit“ müssen die Dauerkatergeplagten tagsüber in die Schule. Weil in diesen Wochen viel geschwänzt wird, wurde eine Maximalgrenze für Fehltage eingeführt. Immer mehr Abiturienten kommen nun lieber in stark betrunkenem Zustand in die Schule, anstatt auszuschlafen.

Die steigende Anzahl von betrunken Schülerinnen und Schülern hat nun die Ministerpräsidentin Erna Solberg auf den Plan gerufen. „Vielleicht fange ich an alt zu werden, aber ich hoffe, dass außer mir auch andere reagieren. Die Russezeit ist spaßig, aber die Schule ist wichtig und wenn am nächsten Tag Schule ist, sollte man das Feiern begrenzen“, rügt sie auf Facebook. Das ist ungewöhnlich. Denn das jährliche Ausflippen ist so tief verwurzelt, dass sie von der Gesellschaft akzeptiert und teils massiv gefördert wird. Viele Unternehmen machen damit ihre Geschäfte. In Norwegen machen fast alle Schüler Abitur. Jung und alt erinnern sich gern an ihre verrückte Russezeit.

Die Russezeit ist eine wichtige Erfahrung, finden die Norweger

Die wurde allerdings im Laufe der Jahrzehnte immer länger und exzessiver. „In den 60ern feierten die Abiturienten nur ein paar Tage um den Nationalfeiertag herum. Jetzt sind es Wochen. Ich gönne ihnen das ja, aber es ist bedenklich und traurig, wenn einige Schüler jeden Tag trinken. Die spielen mit dem Feuer, bezüglich ihrer Abi-Note“, sagt Christiane Nökling, Deutschlehrerin am Osloer Handelsgymnasium. In der Tat seien einige Schüler sehr unausgeschlafen und hätten in ihrem Unterricht eine Alkoholfahne, sagt sie. „Ich glaube auch, die neue Zügellosigkeit hat damit zu tun, dass Norwegen nach den Ölfunden Ende der 60er Jahre so reich geworden ist“, sagt die 67-Jährige.

Die Russezeit ist eine wichtige Erfahrung, finden die Norweger. Bereits im Vorjahr hat sich die nun 19-jährige Schülerin, Ruth Jakobsen mit 20 Mitschülerinnen des Handelsgymnasiums zusammengetan, um einen Partybus mit eigener Disko zu kaufen und einen Chauffeur zu engagieren. Oft haben Mädchen und Jungen getrennte Partybusse. Man trifft sich dann irgendwo in der Stadt oder einem der beiden riesigen Russefestivals in Stavanger und Oslo, um mit Abiturienten aus dem ganzen Land zum feiern.

Die Partybusse holen die Schüler abends zuhause ab und bringen sie morgens zurück

Die Schüler treffen sich schon im Vorfeld regelmäßig, malen den Bus zusammen an, richten ihn gemütlich ein. „Am schönsten ist es das man in einer Gemeinschaft zusammenwächst und Freunde fürs Leben macht. Und in der Feierzeit selbst lernt man so viele neue Leute kennen“, sagt Ruth. Wie sie musste jede Schülerin in ihrem Verband insgesamt rund 40 000 Kronen (4280 Euro) vom Kaufpreis des Busses bezahlen. Teils sponsern Firmen das für Werbebanner. Das führt immer wieder zu Kritik wegen Kommerzialisierung von Jugendlichen und sozialer Ungleichheit. Denn der Geldbeutel der Eltern entscheidet beim Luxusstandard der Partyfahrzeuge.

Die großen Partybusse mit Fahrer sind vor allem in wohlhabenden Großstädten verbreitet. Sie holen jeden Abend gegen 23 Uhr die Abiturienten zuhause ab. Früh morgens werden die Schüler wieder abgeliefert. „Wir feiern ungefähr jeden zweiten Tag in den Partywochen, oft bis zum frühen Morgen. Bis zur ersten Schulstunde hat man dann manchmal nur eine Stunde Schlaf“, sagt Ruth. Nach dem Abi will sie Medizin studieren. Neben dem Kaufpreis für den Bus, kommen noch Kosten für Klamotten, je nach Ausrichtung des Gymnasiums tragen die Schüler etwa rote oder blaue Overalls.

Hinzu kommen Abiturmützen mit kleinen Bändern, die um Minigegenstände geknotet werden, nachdem bestimmte „Mutproben“ erfüllt wurden. Etwa ein Korken, wenn jemand innerhalb von 20 Minuten eine Flasche Wein gelehrt hat. Es gab in der Vergangenheit Mutproben zur Maximierung von Sexpartnern oder der Reinigung des Bodens in einem Geschäft mit der Zunge. Doch wirklich fiesen Gruppendruck versuchen die Jugendlichen zu vermeiden. Norwegische Schulen sind geschickt darin, Mobbing zu bekämpfen.

„Ich mache nicht mit, weil ich das Besaufen sinnlos finde. Da kommt nichts Gutes bei raus und es steckt auch eine riesige Geschäftemacherei dahinter. Zudem ist mir meine Abinote wichtig. Aber ich werde deshalb nicht unter Druck gesetzt. Meine besten Freunde feiern ausgiebig, aber wir respektieren einander“, sagt Hermann Zahn (19), der zusammen mit Ruth am Handelsgymnasium ist und Bauingenieur werden möchte.