Aus einem Bericht des US-Geheimdienstes geht hervor, dass pro-russische Separatisten für den Abschuss der Passagiermaschine verantworlich sein sollen. Foto: EPA

Das über der Ukraine abgestürzte Passagierflugzeug ist nach Ansicht der USA aus dem von prorussischen Separatisten besetzten Gebiet abgeschossen worden. UN-Botschafterin Power ruft Russland dazu auf, Frieden zu schaffen.

Das über der Ukraine abgestürzte Passagierflugzeug ist nach Ansicht der USA aus dem von prorussischen Separatisten besetzten Gebiet abgeschossen worden. UN-Botschafterin Power ruft Russland dazu auf, Frieden zu schaffen.

Washington - Die über der Ostukraine abgestürzte Passagiermaschine mit 298 Menschen an Bord ist nach Informationen der USA wahrscheinlich von einer Boden-Luft-Rakete aus dem von prorussischen Separatisten besetzten Gebiet abgeschossen worden. „Wir können nicht ausschließen, dass russisches Personal beim Betrieb dieser Systeme geholfen hat“, sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, am Freitag dem Sicherheitsrat in New York bei einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung. Es sei nicht bekannt, dass Boden-Luft-Raketen der ukrainischen Armee in diesem Gebiet stationiert seien.

Power forderte eine sofortige unabhängige Untersuchung des Vorfalls. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Sie rief Russland erneut auf, für Frieden in der Region zu sorgen. „Russland muss aufhören, die Ukraine zu destabilisieren“, sagte die US-Botschafterin. „Russland kann diesen Krieg beenden, Russland muss diesen Krieg beenden.“

Alle 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder der Malaysia-Airlines-Boeing waren am Donnerstag ums Leben gekommen. An Bord waren unter anderen 189 Niederländer und 4 Deutsche. Alle betroffenen Länder fordern eine umfassende Untersuchung der Tragödie.

"Abgeschossen. Kein Unfall. Vom Himmel geholt"

Der Fernsehsender CNN berief sich auf einen Mitarbeiter der US-Geheimdienste. Nach diesen Informationen zeigt die Auswertung von Satelliten-Aufnahmen, dass eine Boden-Luft-Rakete abgefeuert wurde. Auch US-Vizepräsident Joe Biden sprach von einem Abschuss: „Offenbar wurde es (das Flugzeug) abgeschossen. Abgeschossen. Kein Unfall. Vom Himmel geholt.“

Nach Angaben der prowestlichen Führung der Ukraine haben die Separatisten keine Raketenflugabwehrsysteme vom Typ „Buk“ für den Abschuss von Flugzeugen in ihrem Besitz. Aus Sicht der Ukraine führt die Spur deshalb nach Russland.

Westliche Radar- und Satellitensysteme dürften nach Expertenansicht recht genau feststellen können, von wo aus in der Region eine Boden-Luft-Rakete abgefeuert worden war.

Tragbare Waffen haben nicht entsprechende Schussweite

Die Boeing 777-200 der Malaysia Airlines kann nach Ansicht von US-Experten nur von einer hoch komplexen Waffe getroffen worden sein. Wie die Zeitung „Wall Street Journal“ am Freitag schrieb, reichten tragbare Raketen, die von der Schulter abgefeuert werden, nicht aus, ein Verkehrsflugzeug in 10.000 Metern Höhe zu treffen.

Präsident Petro Poroschenko hatte den prorussischen Separatisten zunächst vorgeworfen, die Boeing mit einer Rakete getroffen zu haben - wie zuletzt mehrere ukrainische Militärflugzeuge. Das in den 80er-Jahren von der sowjetischen Rüstungsindustrie entwickelte Lenkwaffen-System „Buk“ (Buche) kann Ziele in Höhen bis zu 25.000 Metern treffen.

Angesichts der Tragödie rief Russlands Präsident Wladimir Putin die Konfliktparteien in der Ukraine zu einem Ende der Kampfhandlungen auf. Sie sollten „so schnell wie möglich direkte Kontakte aufnehmen“, sagte Putin bei einem Treffen mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill. Zuvor hatte er der Ukraine indirekt die Schuld am Absturz zugewiesen.

Malaysias Ministerpräsident Najib Razak forderte eine lückenlose Aufklärung. Sollte es sich um einen Abschuss gehandelt haben, müssten die Verantwortlichen bestraft werden, verlangte er in Kuala Lumpur.

Bergung der Opfer im Gange

Der britische Premier David Cameron appellierte an Russland und die Ukraine, alles zu tun, damit die Wahrheit ans Licht komme. Nach jüngsten Angaben aus Malaysia kamen neben Niederländern und Deutschen auch 44 Malaysier, 27 Australier, 12 Indonesier, 9 Briten, 4 Belgier, 3 Philippiner, 1 Kanadier und 1 Neuseeländer ums Leben. Noch sei nicht bei allen Getöteten die Nationalität festgestellt worden, teilte die Fluglinie mit. Rettungskräfte bargen bis Freitag 181 Opfer, wie das Außenministerium in Kiew mitteilte.

Nach Angaben des Innenministeriums wurden die sterblichen Überreste der Passagiere nach Charkow gebracht. In der etwa 300 Kilometer von der Absturzstelle entfernten Stadt werde ein Labor zur Identifizierung eingerichtet, hieß es. Separatisten wiederum kündigten an, die Leichen würden in Mariupol identifiziert.

Am Freitag wurden zwei Flugschreiber sichergestellt, teilte ein Sprecher der regierungstreuen Gebietsverwaltung von Donezk mit. Es blieb aber unklar, wo sich die Geräte befinden.

Die ukrainische Führung hatte den Verdacht geäußert, prorussische Aufständische, die das Gebiet kontrollieren, könnten die Flugschreiber nach Moskau schicken. „Wir haben nicht vor, die Flugschreiber entgegenzunehmen und damit gegen internationale Regeln zu verstoßen“, erwiderte der russische Außenminister Sergej Lawrow.

An der Absturzstelle nahe der ostukrainischen Ortschaft Grabowo wurden noch am Freitag Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erwartet. Die Führung der Separatisten sicherte ihnen freien Zugang zum Unglücksort zu. „Wir sorgen bedingungslos für die Sicherheit vor Ort in diesem Gebiet“, sagte „Vize-Regierungschef“ Andrej Purgin nach Angaben der Agentur Interfax. Von einer Feuerpause, wie ursprünglich von den Separatisten angekündigt, könne nicht gesprochen werden.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen will sich in einer eilig einberufenen Sondersitzung mit der Katastrophe befassen. Das UN-Gremium werde am Freitag zusammentreten, hieß es aus Diplomatenkreisen.

An den internationalen Märkten sorgte der Absturz für weitere Nervosität. An den wichtigsten Börsenplätzen ging es am Freitag auf Talfahrt, die Ölpreise stiegen. Die Unsicherheit auch mit Blick auf die Bodenoffensive Israels im Gazastreifen verstärkt nach Ansicht von Marktexperten die Nervosität der Investoren.