Müssen Millionen Diesel-Autos von Europas Straßen? Nach einem Brandbrief von Verkehrsminister Wissing an die EU-Kommission stellt die Brüsseler Behörde klar, was ihr Anliegen ist.
Die EU-Kommission will Vorschriften zur Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten bei Autos nicht nachträglich ändern und damit möglicherweise eine Stilllegung von Millionen Dieselfahrzeugen bewirken. Die Brüsseler Behörde habe nicht die Absicht, rückwirkende Änderungen vorzunehmen und den Automobilherstellern zusätzlichen Verwaltungsaufwand aufzubürden, heißt es in einem Brief von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton an Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Auch wolle die Kommission keine weiteren Maßnahmen ergreifen, „die Bürger, die Autos in gutem Glauben gekauft haben, in irgendeiner Weise benachteiligen würden“. Der Brief liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
Der FDP-Politiker Wissing hatte die EU-Kommission zuvor vor einer Stilllegung von Millionen Dieselfahrzeugen gewarnt und in einem Brandbrief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Klarstellung gefordert. Hintergrund der Debatte ist ein Verfahren vor dem EuGH zu einem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Duisburg. Dabei geht es auch um die Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten bei Euro 5-Dieselfahrzeugen. Euro 5 ist eine Abgasnorm.
Nach EU-Recht müssten die Schadstoffwerte unter bestimmten Bedingungen (sogenannte NEFZ-Prüfung) eingehalten werden. Das passiert in Testzentren. Infolge des Dieselskandals wurden auch Abgasprüfungen unter realem Fahrbetrieb entwickelt. Ein solches Verfahren gilt mittlerweile auch für die Genehmigung von neuen Fahrzeugtypen ab der Norm „Euro 6d temp“. Kommissionsangaben zufolge entschied der EuGH bereits in einem früheren Urteil, dass sich die Emissionsprüfungen nicht mehr auf Labortests beschränken dürfen.
„Millionen von Fahrzeugen droht damit die Außerbetriebsetzung“
In dem Gerichtsverfahren vertrat die EU-Kommission laut Wissing die Auffassung, dass die Schadstoffgrenzwerte für jede Fahrsituation gelten würden. Das würde bedeuten, dass die Grenzwerte auch bei sogenannten Vollastfahrten mit Steigung einzuhalten wären - also etwa wenn ein Auto voll geladen bergauf fährt und dabei vergleichsweise mehr Schadstoffe ausstößt. Wissing zufolge ist dies nach derzeitigem Stand der Technik nicht umsetzbar. Sämtliche Euro 5-Genehmigungen würden infrage gestellt. Ausgeschlossen seien auch nicht Konsequenzen für Fahrzeuge nach der Abgasnorm Euro 6. „Millionen von Fahrzeugen droht damit die Außerbetriebsetzung“, so Wissing in seinem Brief.
Breton nannte Wissings Annahme in dem Antwortschreiben, um das er von Kommissionspräsidentin von der Leyen gebeten worden war, „irreführend.“ Die Kommission habe lediglich festgestellt, „dass die Pkw-Emissionsgrenzwerte unter normalen Einsatzbedingungen eingehalten werden müssen“, ergänzte ein Sprecher. Damit sei nicht jede Fahrsituation gemeint. Auch habe die Behörde ihren Standpunkt in dieser Frage nie geändert. Breton schrieb: „Ohne dem Ergebnis des anhängigen Gerichtsverfahrens vorzugreifen, wird die Kommission weiterhin Lösungen fördern, die saubere und gesunde Luft begünstigen und einen vorhersehbaren und umsetzbaren Rechtsrahmen fördern.“