VDA-Präsidentin Hildegard Müller: Lieber schärfer Grenzwerte als Tests unter Extrembedingungen. Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Die EU will die Höchstwerte für Schadstoffe aus dem Auspuff nur moderat reduzieren, dafür aber die Bedingungen für deren Messung drastisch verschärfen. Die Industrie will lieber strengere Grenzwerte. Das bringe mehr als eine Auslegung der Abgasreinigung auf Extremsituationen.

Die deutsche Autoindustrie hält die Pläne der EU-Kommission zur weiteren Verschärfung der Abgasvorschriften für Autos für wenig realistisch und fordert eine weitreichende Überarbeitung des geplanten Regelwerks. Dabei stören sich die Hersteller vor allem daran, dass die Grenzwerte nach dem Entwurf künftig unter allen nur vorstellbaren Fahrbedingungen eingehalten werden müssen. Die Grenzwerte selbst sollen für Pkw dagegen nicht drastisch verschärft werden.

Fokus auf Extremsituationen

Dazu zählen auch Kaltstarts unter Extrembedingungen wie eine steile Bergfahrt mit Anhänger, das Fahren mit Vollgas im falschen Gang oder wiederholte rasante Starts mit Beschleunigung auf die Höchstgeschwindigkeit. Unmittelbar nach dem Kaltstart sind die Stickoxidwerte oft für 90 Sekunden erhöht; auch beim Fahren mit Vollgas in einem ungünstigen Gang entstehen sehr hohe Schadstoffwerte.

Es sei nun „entscheidend, dass eine Weiterentwicklung der Abgasnorm auf Augenmaß und Machbarkeit setzt und dabei gleichzeitig einen hohen Wirkungsgrad erreicht“, erklärte Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Dies sei in dem aktuellen Entwurf „leider ausdrücklich nicht der Fall“. Der Fokus müsse „auf der konkreten Luftverbesserung liegen und dabei Machbarkeit ermöglichen, statt überzogene Forderungen zu stellen“. Wenn die Industrie die Wirksamkeit der Abgasbehandlung verbessere, ohne sich auf Extremsituationen fokussieren zu müssen, könnten die Schadstoffe „im Normalbetrieb gegebenenfalls deutlich stärker reduziert werden, als es der aktuelle Euro-7-Entwurf vorsieht“. In einem Positionspapier heißt es, der Verband schlage „ambitionierte und umsetzbare Abgasgrenzwerte“ vor. Diese sollten gemessen werden wie bisher. Die heutigen Regeln sehen Messungen unter realen Bedingungen in der Stadt, auf der Autobahn und auf der Landstraße vor, wobei die Temperaturen zwischen minus 7 und plus 35 Grad betragen können. Die Werte werden mithilfe von Geräten gemessen, die am Heck der Autos angebracht werden und die Abgase aufnehmen. Dabei gilt das Interesse vor allem dem Feinstaub und den Stickoxiden.

Ehrgeiziger Fahrplan

Der Verband stört sich außerdem daran, dass die Einführung im Juli 2025 zu früh komme. Bis dahin müsse nicht nur das EU-Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden, sondern auch die Motor- und Abgassysteme für die verschiedenen Modelle müssten neu entwickelt und getestet worden sein. Dass dieses Mal unüblicherweise ein einheitlicher Termin für neue Modelle, neue Fahrzeuge bestehender Baureihen sowie für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge vorgesehen sei, vergrößere die Belastung weiter. Möglicherweise müssten dann einzelne Baureihen zeitweise aus dem Markt genommen werden, weil die Zulassungsverfahren nicht rechtzeitig abgeschlossen werden können.

Überraschend hatte sich kürzlich auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) die Position der Autoindustrie zu eigen gemacht. Sie hatte sich zuvor meist für schärfere Vorgaben ausgesprochen. Nun erklärte sie unserer Zeitung, insbesondere die von der EU-Kommission vorgesehenen, extrem kurzen Einführungsfristen sehe sie kritisch. Es sei wichtig, die Luftqualität in deutschen Städten weiter zu verbessern, auf der anderen Seite müsse die Einführung von Euro 7 für die Industrie aber „auch realisierbar sein, damit Arbeitsplätze erhalten und modernisiert werden können“, sagte Lemke.

Verband: Vorschlag verteuert Autos

Auch der VDA sieht in den notwendigen Investitionen für den aktuellen Vorschlag einen Kostenfaktor, der zu erheblich höheren Preisen führe. Dies bremse die Nachfrage und führe dazu, dass ältere Fahrzeuge mit höheren Schadstoffemissionen länger auf den Straßen unterwegs sind. Zudem sei die Transformation der deutschen Autoindustrie eine „Jahrhundertaufgabe“, die den Unternehmen immense Anstrengungen abverlangten. Eine überzogene Regulierung würde die Unternehmen „jetzt dazu zwingen, Milliarden in die entsprechende Motor- und Abgasnachbehandlungstechnologie zu investieren, ohne dabei einen adäquaten Effekt bei den Emissionen zu erzielen“. In der Konsequenz fehlten den Unternehmen die Mittel für die dringend notwendigen Investitionen in den weiteren Hochlauf der E-Mobilität und die Entwicklung alternativer Antriebe, erklärte die VDA-Chefin Müller.

Regeln auch für Bremsstaub

Reguliert werden soll nach dem Willen der EU erstmals auch die Freisetzung von Partikeln aus dem Abrieb von Bremsen und Reifen. Vor allem beim Bremsen entsteht Feinstaub, der beim Einatmen nicht nur in die Lunge, sondern auch in den Blutkreislauf gelangen kann. Der Abrieb von Reifen kann über die Kanalisation in Gewässer und in die Nahrungskette gelangen. Der VDA erklärt dazu, er unterstütze diese Regulierung, zentral sei aber eine Definition, auf welche Weise die Emissionen ermittelt werden. Erst dann sei es sinnvoll, Grenzwerte festzulegen.

Besonders streng seien die Vorgaben für Transporter, bei denen die Grenzwerte deutlich stärker verschärft werden. Für schwere Nutzfahrzeuge und große Busse sei der Entwurf technologisch sogar kaum realisierbar und gehe über andere internationale Gesetzgebungen wie in den USA oder China hinaus. Bei einem europäischen „Alleingang“ drohe aber die Gefahr, dass Europa nicht die technologische Führerschaft erlange. Vielmehr könne es zur Abwanderung von Entwicklung und Produktion in andere Regionen der Welt kommen – und damit zum „Verlust von Beschäftigung und Wohlstand“.