Die Baulücke gibt für kurze Zeit den Blick auf die Dillmann-Villa frei. Foto: Kathrin Wesely

Gut 80 Jahre lang lag die Villa-Dillmann hinter einem schmucklosen Zweckbau verborgen. Die Geschichte des Hauses ist illuster und eng mit der VHS verzahnt.

S-West - Wie aus dem Nichts ist die historistische Villa mit dem üppigen Park drumherum plötzlich an der Hölderlinstraße 52 aufgetaucht. Gut 80 Jahre lang hatte sie verborgen hinter einem zweckmäßigen Krankenhausbau aus den 1930er Jahren gelegen. Nachdem dieser Gebäuderiegel jüngst abgerissen wurde, ist nun der Blick auf die prächtige Villa Dillmann frei geworden.

Das Haus mit der rot-gelben Klinkerfassade steht ein bisschen verquer zwischen der Hölderlin- und der Dillmannstraße, was dem Umstand geschuldet ist, dass es zuerst da war: Der Konditormeister, Zuckerbäcker und Kunstsammler Wilhelm Murschel ließ sich die Villa 1884 als etwas abgelegenes Domizil im Landhausstil errichten. Er betraute die Architekten Ludwig Eisenlohr und Carl Weigle mit dem Bau. Die Gegend war seinerzeit unbebaute Randlage. Hier wurden erst in den 1910er Jahren Straßen angelegt. Daher grenzt das Gebäude heute nicht direkt an eine Straße. Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus der Villa Murschel die Villa Dillmann, weil der Schulreformer Christian Heinrich Dillmann sie gekauft hatte.

Sitz der Volkshochschule

Seit dem Abbruch des ehemaligen Krankenhausbaus also kann man von der Hölderlinstraße aus das historistische Haus in seiner Pracht betrachten und stellt dabei fest: Es steht leer. Bis Ende 2014 hatte die Dillmann-Villa der Robert Bosch GmbH gehört. Als deren Jahrzehnte langer Mieter, eine Physio-Praxis, auszog, verkaufte Bosch das Haus. „Es bestand dafür keine Betriebsnotwendigkeit“, heißt es bei der Bauabteilung von Bosch. Über die Identität des Käufers habe man Stillschweigen vereinbart. Nur so viel: Das Haus soll aber auch künftig gewerblich genutzt werden.

Das Verhältnis der Bosch GmbH zur Immobilie Villa Dillmann war ein besonderes gewesen: Im Oktober 1910 gründeten der Industrielle Robert Bosch und der Pädagoge Theodor Bäuerle gemeinsam die Volkshochschule Groß-Stuttgart. Ihren Sitz hatte die Institution von 1919 an in der Villa Dillmann, die Robert Bosch eigens dafür von den Dillmanns gekauft hatte. Bis Mitte der 1990er Jahre blieb die Villa Sitz der Volkshochschule Stuttgart, danach zog sie in ihren Neubau an der Fritz-Elsas-Straße.

Hitler-Attentäter zu Besuch

Heinrich Schneider war bis 2007 Direktor der Einrichtung. Er erinnert sich, dass lange Zeit noch die Tochter von VHS-Gründer Bäuerle mit im Haus wohnte und auch das ehemalige Dienstmädchen der Familie Bäuerle. Diese Frau, so Schneider, habe gern aus der Vergangenheit erzählt. „Sie berichtete uns von Kontakten Theodor Bäuerles zu Widerständlern während der Nazizeit. Immer mal wieder sei sogar Goerdeler im Haus gewesen“, so Schneider. Carl Friedrich Goerdeler gehörte zu den führenden zivilen Köpfen beim missglückten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944. Bis 1936 war er Oberbürgermeister von Leipzig gewesen, aber demonstrativ von seinem Amt zurückgetreten, als das Denkmal des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy abgerissen wurde. Um Goerdeler bildete sich in der Folgezeit ein gut vernetzter Kreis ziviler Widerständler. Nach dem Scheitern des Hitler-Attentats wurde Goerdeler denunziert und am 2. Februar 1945 in Plötzensee hingerichtet. Bald schon wird die Villa Dillmann wieder aus dem Blickfeld verschwinden.

Denn die mächtige Baulücke, die das einstige Krankenhaus hinterließ, wird sich schließen. Drei Mehrfamilienhäuser mit fünf Stockwerken plus Dachgeschoss werden gebaut. Die Bauherrin ist die Gesellschaft für Wohnungs- und Gewerbebau Baden-Württemberg. Auf 2800 Quadratmetern entstehen 32 Wohnungen mit zugehörigen Tiefgaragenstellplätzen unter dem Grundstück. Im Hinterhof soll es einen Spielplatz geben und für die Wohnungen im Erdgeschoss werden Gärten angelegt.