Beitragserhöhungen auf breiter Front: Millionen Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen müssen ab Februar Zusatzbeiträge von zunächst acht Euro monatlich bezahlen.

Berlin - Beitragserhöhungen auf breiter Front: Millionen Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen müssen ab Februar Zusatzbeiträge von zunächst acht Euro monatlich bezahlen.

Der DAK-Vorsitzende Herbert Rebscher kündigte am Montag in Berlin an: "Ich werde meinem Verwaltungsrat empfehlen, ab Februar acht Euro zu nehmen." Entsprechende Ankündigungen machten auch mehrere Betriebskrankenkassen. Das Beitragsplus heizte die Debatte um die Reform der Krankenversicherung an. Die Opposition rief Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) zum Gegensteuern auf.

Der Beitrag solle von den rund 4,6 Millionen DAK-Mitgliedern pauschal erhoben werden, sagte Rebscher. Die Versicherung KKH-Allianz kündigte Acht-Euro-Zusatzbeiträge für ihre 1,5 Millionen Mitglieder für die erste Jahreshälfte an. Bei der Deutschen BKK - sie hat rund 750.000 zahlende Mitglieder - stehe das Thema bei der nächsten Verwaltungsratssitzung an, sagte Vorstand Achim Kolanoski. Die BKK Westfalen-Lippe peilt einen Extra-Beitrag ab 1. Februar an, wie ihr Chef Willi Tomberge sagte: "Es werden über acht Euro sein." Die ktpBKK will mit der Novitas BKK fusionieren und ab 1. April gemeinsam acht Euro erheben, berichtete die Kasse.

"Hier sind Leute, die das Tabu brechen", sagte Rebscher. Seit Monaten war nur allgemein klar, dass Zusatzbeiträge auf viele der 51 Millionen Kassenmitglieder zurollen. Die gesetzlichen Kassen müssen in diesem Jahr insgesamt ein Defizit von rund vier Milliarden Euro schultern - trotz eines um 3,9 Milliarden Euro erhöhten Steuerzuschusses zum Ausgleich krisenbedingter Ausfälle.

Weitere Kassen wollten bald mit Zusatzbeiträgen folgen, hieß es. Namen wurden nicht genannt. Insgesamt sollen bald mehr als 12 Millionen Menschen betroffen sein. Der Chef der AOK Schleswig-Holstein, Dieter Paffrath, deutete an, er dürfe wegen noch fehlender Beschlüsse nicht mitteilen, wann seine Kasse Zusatzbeiträge erhebe. Versicherte können ihre Mitgliedschaft zum Ende des übernächsten Monats kündigen, wenn die Kasse erstmals solche Beiträge nimmt.

Der Münchner Gesundheitsökonom Günter Neubauer erwartet flächendeckend Mehrbelastungen. Bereits 2010 seien im Schnitt Zusatzbeiträge von rund sieben Euro nötig. Auch 2011 werde der Gesundheitsfonds die Ausgaben nicht abdecken, ohne dass die Regierung den Einheits-Beitragssatz von derzeit 14,9 Prozent anheben dürfte. "Deswegen kann man davon ausgehen, dass sich 2011 das Problem noch stärker darstellt als heute."

Rösler wertete die Ankündigungen als Bestätigung seiner Pläne. Er betrachte die Entwicklung als unsozial, weil es keinen Sozialausgleich gebe, sagte eine Sprecherin. Dies mache den Handlungsbedarf deutlich. FDP-Expertin Ulrike Flach sagte: "Der Übergang zu einem Prämiensystem verbunden mit einem zielgenauen (...) Ausgleich (...) ist ohne Alternative." Das Bundesfinanzministerium stellte hingegen klar, dass die Kassen dafür keine weitere Steuermittel erwarten dürften. Eine Grenze sei erreicht, sagte ein Sprecher.

Die Union deutete an, die Obergrenze bei den Zusatzbeiträgen zur Disposition zu stellen. Derzeit müssen die Kassen über acht Euro die Einkommen ihrer Mitglieder prüfen - mehr als ein Prozent des Monatsbruttos dürfen sie nicht erheben. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), sagte: "Natürlich gibt es bei den Zusatzbeiträgen Fortentwicklungsbedarf."

SPD, Linke, AOK und Sozialverbände warnten vor einer sozialen Schieflage. Sie riefen Rösler auf, die Zusatzbeiträge in letzter Minute zu verhindern und den Weg zur Kopfpauschale aufzugeben. Geringverdiener müssten von den Zusatzbeiträgen befreit werden, forderte der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Wolfram-Armin Candidus, nahm die Kassen in Schutz. "Wir haben jedes Jahr mit Beitragserhöhungen zu tun." Sonst stünde Rationierung an. Er riet Betroffenen von Abwanderung ab, weil andere Kassen folgen dürften: "Bitte nicht jetzt alle die Kasse wechseln." Rebscher verteidigte das einprozentige Beitragsplus: Es müsse Schluss sein damit, nötige Leistungen zu begrenzen.