Esslingen hat sich als erste Stadt in der Region Stuttgart für das zweigliedrige Schulsystem entschieden. Bereits vom Schuljahr 2014/2015 an wird es dort nach der Grundschule nur noch Gemeinschaftsschulen sowie das Gymnasium G8 geben. Foto: dpa

Stadt will sich 2014 auf Gemeinschaftsschule und Gymnasium beschränken – Wechsel soll möglich sein.

Esslingen - „Ich kenne keine andere Stadt, die den Weg in dieser Konsequenz geht“, bestätigt Peter Zaar, Sprecher des Regierungspräsidiums, die Vorreiterrolle Esslingens. Die zweitgrößte Stadt der Region setzt damit besonders rasch die Vorgaben des Landes um – schneller, als es sich sogar Ministerpräsident Kretschmann ausgemalt hat.

„Die Gemeinschaftsschule stellt uns vor keine großen Herausforderungen“, stellt der Leiter des Esslinger Schul- und Sportamtes, Horst Reutter, fest. Das liegt schlicht an den Vorarbeiten, die am Neckar bereits geleistet worden sind. Seit 2008 wurden 10,2 Millionen Euro investiert, um die Hauptschulen abzuschaffen und stattdessen Werkrealschulen zu öffnen.

Doch die Schülerzahlen sind seither nicht gestiegen, sondern im Gegenteil seit dem Wandel von der Haupt- zur Werkrealschule sogar noch gesunken. Die freie Schulwahl hat dazu geführt, dass sich nur noch wenige für die Werkrealschule entscheiden. Zum einen, um diese Räumlichkeiten adäquat zu nutzen, vor allem aber, um mehr Chancengleichheit der Schüler zu erreichen, setzen Oberbürgermeister Jürgen Zieger und der Gemeinderat jetzt auf das Zwei-Säulen-Modell. Flächendeckend soll es zum Schuljahr 2014/2015 eingeführt werden, in der Seewiesenschule im Esslingen Norden sogar schon ein Jahr vorher. Der Gemeinderat hat den Wechsel in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause mit großer Mehrheit beschlossen.

„Es ist ein mutiger Schritt, das Schulsystem komplett neu auszurichten“

„Die Entscheidung ist von enormer Bedeutung für die Ausgestaltung der Esslinger Bildungslandschaft“, zeigt sich OB Zieger hochzufrieden. „Es ist ein mutiger Schritt, das Schulsystem komplett neu auszurichten.“ Der für Schulen und Soziales zuständige Bürgermeister Markus Raab sagt: „Bildungspolitik ist immer auch Sozialpolitik.“ Er sieht das Zwei-Säulen-Modell als „kommunale Chance, den in Baden-Württemberg immer noch herrschenden Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu durchbrechen“.

Damit gilt künftig für alle Esslinger Grundschüler in der vierten Klasse: Die Entscheidung für die weiterführende Schule muss nur noch zwischen Gemeinschaftsschule und Gymnasium getroffen werden. Eltern und Schülern soll damit erspart werden, sich schon früh auf eine Schulart festlegen zu müssen. Das Modell basiert auf zwei gleich starken Säulen. Demnach wechseln die Kinder nach der Grundschule entweder aufs Gymnasium (G8) oder auf die Gemeinschaftsschule (GMS). Im Gymnasium besuchen sie die fünfte bis zehnte Klasse ( Sekundarstufe I) und beim G8-Zug noch Klasse 11 und 12 und machen dann ihr Abitur. G9 soll in Esslingen nicht wieder eingeführt werden. Zieger lehnt die Rolle rückwärts ab. Er sieht außerdem G9-Schüler gut aufgehoben in der GMS. Wer dort ist, macht nach der 10. Klasse den Hauptschul- oder Realschulabschluss. Er kann aber über eine Klasse 11 berufliches Gymnasium und zwei weitere Klassen ebenfalls zum Abitur kommen.

„Die Frage ist, wie nach der zehnten Klasse GMS noch ein Übergang ins Gymnasium möglich ist“

In Esslingen haben die Fachleute herausgefunden, dass es zwischen den beiden Säulen eine Vernetzung geben muss. Horst Reutter spricht deshalb von einer Gelenkklasse. „Die Frage ist, wie nach der zehnten Klasse GMS noch ein Übergang ins Gymnasium möglich ist.“ Die Schüler besuchen nach dem Entwurf ein Jahr die Gelenkklasse und wechseln dann in die 11. und 12. Klasse ans Gymnasium. Insgesamt kommen sie dann auf 13 Jahre. Andererseits so Reutter, könnten von der Gelenkklasse auch Gymnasiasten profitieren, die nach der 10. Klasse „noch Bedarf haben, sich vorzubereiten, ohne sitzen zu bleiben.“ Sie würden ein Jahr Gelenkklasse einschieben und dann in der 11. und 12. Klasse weitermachen.

Eine Vertreterin der entsprechenden Stabsstelle des Ministeriums hat sich während einer Klausurtagung des Gemeinderats darüber informiert. Beim Ministerium werden offenbar ähnliche Überlegungen angestellt, der Begriff Gelenkklasse wird aber nicht gebraucht. Vielmehr heißt es dort, GMS-Schüler können nach der 10. Klasse in die 10. Klasse Gymnasium wechseln. De facto bleibt das gleich: Bis zum Abi sind es dann 13 Jahre – also ähnlich wie heute G9.

Ministerium muss die Pläne genehmigen

In Esslingen wird auf größtmögliche Flexibilität gesetzt. „Es wäre toll, wenn man jederzeit zwischen den beiden Säulen wechseln könnte“, sagt Reutter. Ab der 7. Klasse sei das aber sicher schwierig. Die 5. und 6. Klasse sieht er dagegen als Orientierungsstufe: „Die Schüler müssen in dieser Zeit entsprechend ihrer Qualifikation die richtige Schulart finden.“ Damit der Wechsel funktioniere, sei eine gute Kooperationen der Schulen unabdingbar.

Das Ministerium muss die Pläne genehmigen, bevor Esslingen 2014 an den Start geht. Der Antrag muss bis Oktober 2013 gestellt werden. Reutter: „Bis dahin haben wir Zeit, die Pädagogik zu entwickeln und vor allem die Akzeptanz bei den Eltern und Lehrern für das neue System zu fördern.“