Ein US-“Rosinenbomber“ beim Landeanflug auf Westberlin: Die Kinder warten auf den Abwurf von Süßigkeiten an Taschentuch-Fallschirmen. Foto: epd

Die deutsch-amerikanische Freundschaft begann vor 70 Jahren mit der Berliner Luftbrücke. Doch was ist davon heute noch übrig? Einiges, meint der Ex-Regierungssprecher und Zeitzeuge Matthias Kleinert.

Stuttgart - An Hunger und Entbehrung erinnert sich Matthias Kleinert, wenn er an die Zeit von vor 70 Jahren zurückdenkt. Berlin, sein Geburtsort, war wie ganz Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Besatzungszonen aufgeteilt. Die Spannungen zwischen den Westmächten und dem ehemaligen Kriegsverbündeten Sowjetunion spitzten sich zu. Schlagartig fanden sich selbst Kinder wie Matthias Kleinert im eskalierenden Kalten Krieg wieder.

Vor 70 Jahren ließ der Sowjet-Diktator Josef Stalin alle Zugangswege zu den Westsektoren Berlins sperren. Den Grund lieferte ein erbitterter Streit der Siegermächte über die Währungsreform. Quasi über Nacht waren 2,2 Millionen Westberliner von jeder Versorgung mit Lebensmitteln oder Brennstoff abgeschnitten.

Aber General Lucius D. Clay, US-Militärgouverneur in Deutschland, zeigte sich fest entschlossen, einen Ausweg aus der bedrohlichen Lage zu finden. Gleich nach den ersten Blockademeldungen telefonierte er mit US-Luftwaffenchef Curtis LeMay in Wiesbaden: „Curt, können Sie Kohle per Luft transportieren?“ Die Antwort: „Die Luftwaffe kann alles transportieren.“ So wurde der Legende nach die Luftbrücke geboren.

Mehr Gelassenheit gegenüber Trump

Mit der Hilfe des Militärs entstand auch die jahrelang tiefe Freundschaft zwischen den USA und Deutschland . „Die transatlantischen Beziehungen bleiben lebenswichtig, auch heute noch“, betont Kleinert. „Weil uns so viel verbindet bei den Werten von Demokratie und Freiheit, wirtschaftlich, kulturell und auch in den vielen menschlichen Beziehungen“, sagt er mit Blick auf die große Zahl an deutschstämmigen US-Bürgern. Doch sprengt US-Präsident Donald Trump mit seinen bulldozerartigen Alleingängen, seiner Negativwerbung zu Charakter und Werten Amerikas das enge Beziehungsgeflecht nicht gerade? Da rät der Kleinert zu mehr Gelassenheit. Amerikas Interesse habe sich schon unter Trumps demokratischem Amtsvorgänger Barack Obama nach Asien gerichtet. Da hätte Europa reagieren, sich stärker engagieren müssen, um „mit Amerika auf Augenhöhe zu kommen“. Kleinerts Vision ist ein starkes, einiges Europa, das zu einer stabilen Partnerschaft mit den USA fähig ist. Leider aber sehe er ein Europa voller nationaler Egoismen.

Egoistische Züge zeigte US-Präsident Harry Truman vor sieben Jahrzehnten nicht. Er setzte den Plan seines Generals Clay letztlich durch – gegen den Rat seiner Berater, die zum Rückzug rieten, statt einen neuen Krieg zu riskieren. „Wir bleiben in Berlin. Punkt“, so Truman. „Die Amerikaner haben uns gerettet“, sagt Kleinert, der in dieser Zeit nur per Brief oder Postkarte mit seiner Mutter in Berlin Kontakt halten konnte. Er selbst war 1945 zusammen mit seiner Oma und seiner Tante nach Besigheim (Kreis Ludwigsburg) geflohen.

Nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeiteten bei der logistischen Herkulesanstrengung Luftbrücke die Kriegsgegner von einst, Deutschland und die Westalliierten, Hand in Hand. 462 Tage lang flogen die Rosinenbomber genannten Douglas C-42 und C-54-TransportMaschinen der Alliierten mit allem Lebenswichtigem von elf westdeutschen Flugplätzen Tag und Nacht nach Berlin. In Spitzenzeiten landete in Tempelhof, Gatow oder Tegel alle 90 Sekunden eine Maschine. Bei Abstürzen und Bruchlandungen – die Hauptursache waren Schlafmangel und fehlerhafte Wartung – verloren 31 Amerikaner, 39 Briten und acht Deutsche ihr Leben. Insgesamt wurden 2,3 Millionen Tonnen Blockadegut eingeflogen.

Weltweiter PR-Erfolg

Dass die Luftbrücke auch zu einem weltweiten PR-Triumph der freien Welt über den Kommunismus wurde, dafür sorgte maßgeblich der Einfallsreichtum des US-Piloten Gail Halvorsen, der auf dem Stützpunkt Rhein-Main aus Taschentüchern kleine Fallschirme bastelte und daran Süßigkeiten befestigte. Die warf er beim Landeanflug über den wartenden Kindern in Berlin ab. So flogen ihm die Herzen der Menschen zu. „Der Abwurf von Süßigkeiten war wichtig, weil er den Deutschen zeigte, dass die Amerikaner ein Herz hatten“, sagte der pensionierte Luftwaffenoberst vor Jahren der „Washington Post“. Aus gesundheitlichen Gründen musste der 97-Jährige jetzt einen bereits geplanten Besuch in Frankfurt absagen. Er ist einer der allerletzten Männer, die noch aktiv an der Luftbrücke beteiligt waren.

Die berühmten Worte des damaligen Berliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter – „Ihr Völker der Welt... schaut auf diese Stadt“ – machte die Stadt zum Außenposten der Freiheit gegen die Sowjetunion, die als brutaler Unterdrücker unschuldiger Menschen dastand. Am 12. Mai 1949 räumte Moskau die demütigende Propaganda-Niederlage ein und beendete die Blockade Berlins. Die Luftbrücke trug dazu bei, den Westen politisch und militärisch zusammenzuschweißen. Nur kurze Zeit später wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet und das Verteidigungsbündnis Nato aus der Taufe gehoben.

Das berühmte Diktum des britischen Kriegspremiers Winston Churchill – „Dankbarkeit ist keine politische Kategorie“ – hat für Matthias Kleinert mit Blick auf Amerika keine Bedeutung. „Ich bin den Amerikanern bis heute dafür dankbar, dass sie Frieden und Freiheit Berlins und Deutschlands geschützt haben“, sagt er. „So wurde ich auch politisiert“, erzählt er weiter. Als junger Politikstudent nach dem Abitur 1958 nach Berlin zurückgekehrt, erlebte er hautnah die weiteren Krisen um Berlin, das Chrustschow-Ultimatum von 1958 und den Mauerbau im August 1961. Und als Präsident John F. Kennedy im Sommer 1963 ausrief: „Ich bin ein Berliner“, war Kleinert unter den Hunderttausenden Zuschauern vor dem Schöneberger Rathaus.

Amerika bleibt roter Faden

Als dann Ende der 60er Jahre im Schatten von Vietnamkrieg und Rassenunruhen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen die Flitterwochen zu Ende gingen, wurde auch Kleinert Amerika-kritischer. Doch die Schutzmacht zog sich für Kleinert weiter wie ein roter Faden durch sein Leben: Zum Beispiel wurde er als Rundfunkreporter beim Sender Rias Berlin verprügelt, als er über eine linke Anti-Vietnamkriegsdemonstration berichtete. Auch nach der Rückkehr nach Stuttgart als Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und dann als Sprecher und enger Vertrauter von Ministerpräsident Lothar Späth. 1986 nahm Kleinert vor einem geplanten Treffen mit Ronald Reagans Vizepräsidenten George Bush, dem Älteren, extra Englisch-Unterricht bei einer Lehrerin, die vom Amerika-Haus geschickt wurde. Sie wurde einige Jahre später seine zweite Ehefrau. Dann stieg er nach dem Wechsel zu Daimler in den Zeiten der Daimler-Chrysler-Fusion bis zum Außenminister des Weltkonzerns auf.

So sehr Kleinert den Amerikanern dankbar für die Luftbrücke und die jahrelang guten Beziehungen ist, zur Politik Trumps findet er, obwohl er zur Gelassenheit im Umgang mit dem Präsidenten rät, deutliche Worte: „Mit seiner ‚Amerika-zuerst’-Politik überzieht Trump maßlos.“ Internationale Politik lasse sich längst nicht nur mit Deals, bei denen es nur um den eigenen Nutzen gehe, regeln. Sondern auch im Dialog, auf der Grundlage von Vertrauen. „Mit America first hätte es wohl auch die Luftbrücke nie gegeben“, meint Kleinert. Da blitzt er wieder auf, der Meister des Dialogs: „Darüber würde ich gerne mit Herrn Trump mal eine Stunde reden“, sagt Kleinert mit spitzbübischen Lächeln.