Manchmal dauert es länger: Das Amtsgericht Ludwigsburg urteilte erst 23 Jahre nach der mutmaßlichen Tat. Foto: dpa/Arne Dedert

Ein 70-Jähriger ist am Ludwigsburger Amtsgericht schuldig gesprochen worden, weil er sich 1996 an einem Mädchen vergangen haben soll. Der Mann hatte sich damals ins Ausland abgesetzt und war seither per Haftbefehl gesucht worden.

Ludwigsburg - Nicht der Tatvorwurf war ungewöhnlich, sondern der Umstand, dass der Angeklagte erst jetzt dafür am Ludwigsburger Amtsgericht zur Rechenschaft gezogen worden ist: Einmal mehr musste am Donnerstag ein Schöffengericht in Sachen sexueller Missbrauch eines Kindes verhandeln, allerdings für eine Tat, die sich bereits vor 23 Jahren ereignet haben soll. Das damals neunjährige Mädchen ist heute eine Frau von 32 Jahren. Der Grund für die Verzögerung: Der Angeklagte hatte kurz nach der mutmaßlichen Tattag das Land verlassen und war erst diesen August beim Versuch, wieder einzureisen, festgenommen worden.

„Der Mann war ein Held für mich“, sagt die heute 48 Jahre Ex-Freundin des Angeklagten. Sie selbst war damals 25 und ihr Partner 47 Jahre alt: „Er war eine Vaterfigur und ich war das kleine Mädchen“, erzählte die heute in Bremen lebende Ludwigsburgerin. „Wir hatten eine sehr gute, vertrauensvolle Beziehung.“ Die Basis seien vor allem künstlerische Ambitionen gewesen. Beide malten oder machten Musik.

Lebenskünstler und Schiffskapitän

Während sie inzwischen als Lehrerin arbeitet, ist der Angeklagte seiner Lebensweise treu geblieben: Bis zum Sommer hat der inzwischen 70 Jahre alte schlaksige Mann mit britischem Pass eine Art Hippieleben in Barcelona, Mallorca oder Ibiza geführt und seinen Unterhalt mit dem Verkauf von Bildern, Auftritten mit dem Schlagzeug oder als Kapitän von Segeltörns bestritten. „Ich brauche im Monat nicht mehr als 200 Euro“, sagte er.

Für das jetzt 32 Jahre alte Opfer war der Mann weder Held noch charismatischer Lebenskünstler. Sie beteuerte vor 23 Jahren ebenso wie jetzt vor Gericht, der Angeklagte habe sie am 27. Oktober sexuell missbraucht. Die Gelegenheit habe sich für ihn geboten, als er gemeinsam mit seiner Freundin die Ludwigsburger Wohnung von deren Eltern tapeziert habe. Damals sei sie – das neun Jahre alte Nachbarkind – in dem Haus ein- und ausgegangen. Besonders reizvoll fand das Mädchen damals, dass die beiden Wohnungsrenovierer kleine Hunde hatten – und dass die beiden Instrumente spielten.

Ekelhafte Erinnerung

Irgendwann habe der Mann die Arbeiten mit dem Tapetenkleister unterbrochen, „um mir sein Schlagzeug zu zeigen“. Als sie zu zweit in einem Zimmer im Obergeschoss gewesen seien, so die Geschädigte, habe er sie auf ein Bett gedrängt, ihr Hose und Unterhose heruntergezogen und mit den Fingern und der Zunge die Scheide berührt.

Das habe sie als sehr ekelhaft in Erinnerung, sagte die junge Frau, deren Aussage in weiten Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Sie habe dann nach der Freundin des Mannes, die noch immer im Stockwerk darunter tapezierte, gerufen. Und erst als diese aufgetaucht sei, habe der Mann die Umklammerung gelöst. Unmittelbar danach sei sie geschockt nach Hause gerannt und habe ihrer Großmutter erzählt, was geschehen war.

Als er dem Kind eine neue Trommel vorführte, habe dieses plötzlich sein T-Shirt angehoben und ihn angemacht, behauptete dagegen der Angeklagte. „Schau mal, wie schön meine Haut ist“, habe sie gesagt. Daraufhin habe er die Neunjährige lediglich auf den Kopf geküsst.

Ex-Freundin noch immer loyal

Die Ex-Freundin sagte zwar aus, dass sie es schon komisch fand, dass die beiden plötzlich verschwunden und sie mit der Arbeit allein gelassen hatten. Aber sie sei nicht zu Hilfe gerufen worden und sie habe auch nichts Ungewöhnliches bemerkt, als die beiden später wieder aus dem Zimmer kamen. Man habe sogar noch gemeinsam Tee getrunken und Kekse gegessen.

Die Ex-Freundin sei ihrem einstigen Geliebten wohl nicht mehr verfallen, aber noch immer agiere sie offenbar nach dem Motto „Was nicht sein darf, kann nicht sein“, meinte die Vorsitzende Richterin. Staatsanwältin und Gericht schenkten am Ende allein der Aussage der Geschädigten Glauben. Der 70-Jährige wurde zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss er 1000 Euro an die Stiftung Hänsel und Gretel bezahlen.