Rettungsfahrzeuge der Johanniter verlassen am Samstagnachmittag ihren Einsatzort auf dem Daimler-Werksgelände. Foto: SDMG/Dettenmeyer

Die Irrfahrt eines 61-Jährigen auf dem Daimler-Werksgelände in Sindelfingen soll unter einer „psychischen Ausnahmesituation“ passiert sein. Weil er der Aufforderung, sein Klappmesser hinzuwerfen, nicht nachkam, schoss ihm ein Polizist ins Bein.

Sindelfingen - Dass die Amokfahrt eines Mannes am Samstag auf dem Daimler-Werksgelände in Sindelfingen das dominierende Gesprächsthema in den Werkskantinen war – man darf es annehmen. Und viele Mitarbeiter stellten sich dabei die Frage: Welche Folgen hätte es gehabt, wenn das alles an einem normalen Werktag passiert wäre. Am Samstag waren zwar Werksangehörige auf dem Gelände – aber vergleichsweise wenige. In normalen Früh- und Spätschichten oder gar beim Schichtwechsel wären die Straßen und Wege voll gewesen.

Alarmkette hat laut Daimler „sehr gut funktioniert“

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat am Montag weitere Details zu der mutmaßlichen Amokfahrt herausgegeben. Demnach handelt es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen 61-jährigen Mann. Als dieser mit seinem VW-Bus eine Schranke an Tor 7 des Werks durchbrach, habe der Werkschutz sofort die Polizei informiert, heißt es vonseiten der Staatsanwältin Stefanie Ruben. Die Alarmkette habe „sehr gut funktioniert“, berichtet eine Werkssprecherin.

Den Erkenntnissen der Polizei nach ist der 61-Jährige mit seinem grün-weißen VW weiter aufs Werksgelände gefahren – „mit vermutlich überhöhter Geschwindigkeit“, wie sie schreibt. Er sei dann mit einem Bordstein und einer Verkehrsinsel kollidiert, woraufhin das Fahrzeug nicht mehr fahrtüchtig gewesen sei.

Von umgefahrenen Pollern berichtet die Polizei nicht, auch nicht von einer Karambolage mit einer S-Klasse. Beides hatte am Samstag in sozialen Medien die Runde gemacht. Dort war auch die Rede davon, dass das Auto durchs Werk gerast sein soll – „mit bis zu 100 km/h“.

Staatsanwaltschaft: „Er ging in bedrohlicher Weise auf Polizisten zu.“

Der 61-Jährige habe, so die Polizei, nach der Havarie seinen Bus verlassen und sei zu Fuß unterwegs gewesen. Während mehr als ein Dutzend Polizeibeamte alle Zu- und Abfahrtsmöglichkeiten des Werksareals besetzten, wurde der Täter von weiteren Polizisten gestellt.

„Er trug ein Klappmesser in der Hand, mit dem er gestikuliert haben soll“, heißt es in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, die auf Polizei- beziehungsweise Zeugenangaben fußt. Auf mehrfache polizeiliche Aufforderungen, das Klappmesser fallenzulassen, habe der Mann nicht reagiert. Er sei stattdessen, „ohne verbal zu kommunizieren, in bedrohlicher Weise auf die Polizisten zugegangen“.

Der Mann ist jetzt in einer Psychiatrie

Da er weitere „eindeutige Aufforderungen der Beamten ignorierte, kam es zu einer Schussabgabe eines Polizisten“. Der 61-Jährige wurde ins Bein getroffen und dann festgenommen. Ein kurzes Video im Netz zeigt Polizisten, die vor einer auf dem Weg liegenden Person knien beziehungsweise sich darüber beugen. Der Schuss ins Bein des mutmaßlichen Täters ist nach Lage der Dinge ein gezielt abgegebener – aus einer Notwehrsituation heraus.

Der Festgenommene sei dann zur Versorgung der Wunde in ein Krankenhaus gebracht worden und anschließend zur Unterbringung in eine psychiatrische Einrichtung. Die Schwere seiner Verletzung ist der Staatsanwaltschaft nicht bekannt, sie sei „jedoch nicht lebensgefährlich“. Für die Polizei ist die Tat des 61-Jährigen unter dem Eindruck einer „psychischen Ausnahmesituation“ passiert. Inwiefern dabei Drogen oder Alkohol im Spiel waren, sei jetzt Gegenstand der Ermittlungen – „wie so vieles andere auch“.

Werksangehöriger oder nicht? Das wird erst noch ermittelt

„So vieles andere“ – das wird sich vor allem auf die Frage beziehen, ob der 61-Jährige ein (früherer) Werksangehöriger ist. „Anhaltspunkte für eine gezielte Amokfahrt in der Absicht, jemanden zu schädigen, haben wir nicht“, so Staatsanwältin Stefanie Ruben.

Der Werkschutz hatte die Werksangehörigen am Samstag offenbar per Rundruf dazu aufgefordert, die Gebäude nicht zu verlassen. So berichten es Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter via Facebook, die am Samstag gearbeitet haben. 15 Minuten später sei dann Entwarnung gegeben worden – nachdem der 61-Jährige entwaffnet war.

Daimler hielt sich am Montag mit weiteren Auskünften bedeckt. Man darf jedoch davon ausgehen, dass man sich aufseiten des Werkschutzes und der Unternehmensleitung Gedanken darüber machen wird, wie so ein Szenario künftig vermieden werden kann und welche weiteren Sicherheitsmaßnahmen nötig sind.