Wohin geht der Weg? Die Zukunft des Schienenverkehrs ist ungewiss. Foto: Peter-Michael Petsch

Kein Geld, keine Zeit: Die Zukunft des Schienennahverkehrs sorgt bei Grün-Rot für Unruhe.

Stuttgart - Von einer Regierungskrise ist man noch weit entfernt, doch das Thema Nahverkehr bereitet der grün-roten Koalition arge Kopfzerbrechen.

Für die Hintergründe muss man etwas ausholen. Der Bund stellt den Ländern Geld für den Schienenpersonennahverkehr zur Verfügung, sogenannte Regionalisierungsmittel. Mit diesem Geld – 2012 erhält Baden-Württemberg 740 Millionen Euro – bestellt das Land bei der Deutschen Bahn und anderen Verkehrsgesellschaften wie der Hohenzollerischen Landesbahn Nahverkehrszüge. 63 Prozent des Verkehrs leistet die DB. Ein Kilometer Zugverbindung kostet zwischen sieben und zehn Millionen Euro.

Die Regionalisierungsmittel aus Berlin fließen konstant. Allerdings hat die Bahn die Kosten für die Nutzung von Schienen und Bahnhöfen in diesem Jahr um 50 Millionen Euro erhöht, unter anderem wegen gestiegener Energiekosten. Was Baden-Württemberg jetzt in arge Nöte stürzt – besonders die Grünen. Haben sie doch stets in Aussicht gestellt, den Nahverkehr auszubauen. Jetzt geht es nur noch darum, Streichungen zu verhindern.

Für das kommende Jahr fehlen 60 Millionen, für 2014 gar 70 Millionen Euro. Über die Frage, woher dieses Geld genommen werden soll, um wenigstens den Status quo zu halten, ist zwischen Grün und Rot ein heftiger Streit entbrannt. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) würde das Geld am liebsten aus Stuttgart-21-Mitteln abschöpfen. Sein Argument: Durch die baulichen Verzögerungen liegt das Geld quasi brach.

Abbestellungen? „Auf gar keinen Fall“

Da macht aber die SPD nicht mit. Genauso wenig beim Alternativ-Vorschlag der Grünen, das Geld aus dem Landeshaushalt zu pressen. SPD-Verkehrsexperte Hans-Martin Haller hält es für keine Dauerlösung, den Nahverkehr an den Tropf des allgemeinen Haushalts zu hängen. Er hat den Topf mit den Regionalisierungsmitteln im Blick. Darin sind auch nicht originäre Verkehrsleistungen wie Programme zur Bahnhofsmodernisierung enthalten. „Da zu sparen wäre das kleinere Übel“, meint Haller.

Hermanns Sprecher verweist auf eine „klare Absprache innerhalb der Koalition“, wonach es 2013 „auf gar keinen Fall“ zu Abbestellungen kommen darf. Nur: Woher das Geld kommen soll, darüber ist man sich nach wie vor nicht im Klaren. Hermanns Vorschläge wurden von der SPD abgelehnt, die erste Gesprächsrunde ist gescheitert. Doppelt bitter: Würde man am Ende einsehen, dass es nicht anders geht und Strecken doch ausgedünnt werden müssen, würde das Land die eingesparten Zugkilometer noch nicht einmal 1:1 von der Bahn zurückerstattet bekommen. Für Abbestellungen für 2013 ist es jetzt nämlich schon zu spät.

Bewerber stehen nicht gerade Schlange

Die aktuellen Probleme für 2013/2014 sind noch nicht gelöst, da tauchen schon die nächsten auf – für die Zeit nach 2016, wenn der Verkehrsvertrag ausläuft. „Es ist noch keine einzige Strecke ausgeschrieben“, kritisiert SPD-Mann Haller. Der verkehrspolitische Sprecher seiner Fraktion hat Zweifel, dass der erhoffte Wettbewerb, der zu Einsparungen für das Land führen sollte, auch tatsächlich eintritt.

Denn die Bewerber stehen nicht gerade Schlange. Bei den meisten handelt es sich um Töchter ausländischer Staatsbahnen, um die es wirtschaftlich nicht zum Besten bestellt ist. Der Markt entwickelt sich zusehends zu einem Bietermarkt, die Zahl der Bieter je Ausschreibung ist rückläufig. Zumal der baden-württembergische Nahverkehr in seiner Gesamtheit nicht sonderlich attraktiv ist. Pendlerstrecken wie Stuttgart–Tübingen werfen Geld ab, andere im Allgäu oder Schwarzwald dagegen kaum.

Verkehrsbetriebe in Not

Die Finanzmarktkrise tut ihr Übriges. Die Eisenbahnunternehmen tun sich schwer, Geld für die Anschaffung ihrer Fahrzeuge zu generieren. Die SPD fürchtet schon, dass 2016 „kein einziger neuer Zug fährt“. In einem von der Fraktion beschlossenen Eckpunktepapier des Arbeitskreises Verkehr wird auf die langen Entwicklungs- und Lieferzeiten der Fahrzeugindustrie hingewiesen. So vergehen bis zur Zulassung durch das Eisenbahnbundesamt bis zu vier Jahre. Haller: „Die Zeit drängt gewaltig.“

Der Einzige, der über diesen Problemen steht, ist der Platzhirsch, die Deutsche Bahn. Sollte die DB wie schon bei der letzten Ausschreibung das Rennen machen, könnte sie dem Land erneut den Preis diktieren – die durch Einsparungen erhofften Verbesserungen für den Nahverkehr (vor allem mehr Züge) würden Wunschtraum bleiben.

Das Verkehrsministerium räumt ein, dass die Zeit knapp ist. Noch befinde man sich aber im Zeitrahmen. Mitte August will man klarer sehen. Aus Sicht Hermanns bringt es angesichts der Schwierigkeiten, in denen die Verkehrsunternehmen stecken, nichts, die Ausschreibung in aller Eile durchzudrücken. Denn auch die Grünen wollen verhindern, dass die DB erneut als großer Sieger aus dem Bieterwettbewerb hervorgeht.

Wie verfahren die Situation ist, zeigt das Beispiel Breisgau-S-Bahn. Der Zweckverband Region-Nahverkehr Freiburg hat bereits im vergangenen Jahr einen Vertrag mit der Landesregierung über die Aufstockung um bis zu 50 Prozent mehr Zugkilometer geschlossen. Damals war der finanzielle Engpass durch die Preiserhöhungen der Bahn noch nicht absehbar, heute kann das Land schauen, wie es aus dem Vertrag wieder rauskommt. Noch eine Baustelle.