Zwischen Weinbergen und Fluss: Im Stuttgarter Neckarhafen werden nicht nur Containerberge umgesetzt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Stuttgart hat einen Hafen. Und das seit 60 Jahren. Ein Umstand, der vielen Menschen in der Stadt nicht bewusst ist. Dabei findet sich zwischen Neckar, Kais und Containern eine ganz eigene Welt.

Stuttgart - Endlose See, so weit das Auge reicht. Matrosen, die in schummrigen Spelunken Seemannsgarn spinnen. Stolze Schiffe mit mächtigen Masten. Hafenromantik pur wie aus dem Abenteuerfilm. Von all dem ist nichts zu sehen an diesem Sommertag in Stuttgart-Hedelfingen. Keine Kneipe weit und breit, keine Seebären, kein malerischer Sonnenuntergang. Und doch – ein Hafen. Mitten in der Landeshauptstadt, aber gut versteckt.

„Mit gemütlich ist hier nichts“, sagt Claudia Hein und schmunzelt. Sie muss es wissen, denn sie kennt den Neckar und den Stuttgarter Hafen aus dem Effeff. Sie stammt von der Mosel und ist Binnenschifferin. Ein Beruf, den nur wenige Frauen in Deutschland ausüben. Mit ihrem Matrosen und zwei Hunden befährt sie Neckar und Rhein. Von Stuttgart bringt sie Schrott zu den Badischen Stahlwerken in Kehl, auf der Rückfahrt lädt sie Sand für die hiesige Baubranche. Zehn Tage dauert ein Umlauf. Morgens um sechs beginnt der Tag, oft endet er erst nachts.

Gerade läuft der Ladevorgang. Beim Stichwort Romantik lächelt Claudia Hein. „Das Leben hat zwar eine gewisse Freiheit, weil man nicht in einen Büroalltag eingezwängt ist. Aber es ist kein Zuckerschlecken, 14-Stunden-Tage sind normal.“

60 Jahre alt wird der Stuttgarter Hafen. An diesem Wochenende steigt die große Geburtstagsfeier. Doch wirklich präsent im Alltag der Menschen ist er nicht. Das spürt auch Claudia Hein, wenn sie mit ihrer Minerva anlegt, einem „schnuckeligen Schiffchen“, das zwar stolze 85 Meter misst, damit aber zu den kleineren Frachtschiffen hier gehört. „Mein Matrose hat mal mit dem Auto die Schleuse Untertürkheim gesucht“, erzählt sie. „Er hat drei Leute gefragt. Niemand wusste, dass es Schleusen oder gar einen Hafen gibt. Der scheint mir sehr wenig präsent zu sein.“

Ein paar Meter weiter steht Carsten Strähle am Fenster und schaut hinaus aufs Wasser. Der Geschäftsführer der Hafen Stuttgart GmbH residiert in einem schmucken gläsernen Verwaltungsbau direkt am Ufer. Dort liegt das eigene Arbeitsboot des städtischen Eigenbetriebs, der die Flächen verwaltet und verpachtet. Einen Steinwurf entfernt rauschen die Autos auf der B 10 vorbei, ohne dass die Insassen ahnen, dass sie sich am Rande eines riesigen Hafengebietes befinden. „Wir stecken in einem Dilemma“, sagt Strähle. „Wenn man sich den Hafen von außen anschaut, wirkt er wie ein normales Gewerbegebiet. Das Wasser und die vielen Schienen sind nur von den Brücken aus zu sehen. Wir können die Leute aber nur zu Veranstaltungen in die Betriebe hereinlassen, alles andere wäre zu gefährlich.“

Dabei sind die Zahlen durchaus beeindruckend. Hundert Hektar groß ist das Hafengebiet, das hauptsächlich zu Hedelfingen gehört und grob zwischen den Wehren Ober- und Untertürkheim liegt. Knapp ein Drittel des Areals besteht aus Wasser. Rund 3000 Menschen arbeiten hier bei 50 Firmen. Vom Getreidesilo über die Automobilindustrie und Baumaterialien bis zu Metallhändlern reicht die Bandbreite. Rechts und links der Straßen wachsen deren gigantische Schrotthaufen in den Himmel. „Die Leute denken oft an Hafenromantik, an Speicherstadt und Landungsbrücken in Hamburg. Aber dort ist der eigentliche Hafen ja auch längst woanders“, sagt Strähle. „Wir sind ein lebender Industriehafen.“

Beim Gewinn landesweit die Nummer eins

Der steht nach umstrittenem Start 1958 und einigen Aufs und Abs heute wirtschaftlich gut da. „Alle Flächen sind belegt“, sagt Strähle. Weitere Firmen würden sich gerne ansiedeln, aber dafür ist kein Platz. Eine Entwicklung ist nur nach innen möglich. Die Zahlen jedoch stimmen: Beim Schiffsumschlag liegt man in Baden-Württemberg zwar nur im Mittelfeld, beim Eisenbahnumschlag und beim Gewinn aber an der Spitze.

An einem der Kais liegt die Lux Vera vor Anker. „Sie macht eine typische Tour“, erzählt Hafensprecher Johannes Zeller und lehnt sich über die Brüstung der Otto-Konz-Brücken. Das Schiff bringt 1000 Tonnen Schüttgut – Kies und Sand. Ist es entladen, nimmt es Schrott auf. Das ist häufig der Kreislauf am Neckar: Rohstoffe und Waren für die hiesige Produktion kommen an, Produkte aus der Region und Altmetall gehen hinaus in die großen Seehäfen und weiter in die ganze Welt. Der Stuttgarter Hafen spielt dabei eine wichtige Rolle als trimodaler Umschlagplatz für die ganze Region: Zum Schiff als Verkehrsmittel gesellen sich die Straße und die Schiene.

Seit gut 20 Jahren spielt dabei eine neue Form der Logistik eine immense Rolle. Die ist ein Stück weiter zu besichtigen. Mehrere Kräne heben im Containerterminal gerade einen Container nach dem anderen von zwei Schiffen. Wie Legosteine stapeln sich die bunten Behälter aufeinander – Hunderte, Tausende. Die Lastwagen, die damit beladen werden, wirken wie Spielzeuge. Ein Binnenschiff kann bis zu 100 Lkw-Fahrten ersetzen. „In dem Geschäft ist Musik drin“, sagt Zeller mit hörbarer Begeisterung. Seit der Eröffnung haben sich Umschlag und Fläche mehrfach verdoppelt.

Backmischungen aus riesigen Silos

An der Kaimauer blühen Blumen. Schwäne ziehen mit dem Nachwuchs ihre Bahnen. „Es gibt sogar Fische im Hafen“, sagt Zeller und schmunzelt. Ein Naturparadies aber, das ist auf den ersten Blick klar, findet man hier nicht. Stattdessen viel Beton und Krach. Nebenan zerreißt ein lautes Scheppern die Ruhe. Es kommt von einer Firma für Glasrecycling. „Dort drüben werden Futter- und Lebensmittel für die Silos angeliefert“, sagt Zeller und zeigt auf die andere Seite. In den weithin sichtbaren Türmen werden die Rohstoffe weiterverarbeitet. Etwa zu Backmischungen, die vom Stuttgarter Hafen aus in die Geschäfte gehen.

Vieles läuft im Hafen, und das ist überraschend, über die Schiene. Zwölf Eisenbahn-Unternehmen sind dort zugange, das Gleisnetz umfasst 32 Kilometer. 65 000 Waggons pro Jahr werden abgefertigt, aber nur gut 1000 Schiffe. Da ist noch Luft nach oben. Das sieht auch Hafenchef Strähle so: „Auf den Wasserflächen haben wir Reserven ohne Ende, anders als auf der B 10.“ Er glaubt, dass auf dem Neckar vier Mal so viel Verkehr möglich wäre wie heute. Allerdings lassen sich nicht alle Güter problemlos dorthin verlagern. Zudem können derzeit nur Schiffe bis zu 105 Meter Länge den Neckar befahren. Wann sich das mit dem Ausbau der Schleusen ändert, steht in den Sternen. „Trotzdem setzen wir uns stark dafür ein, mehr Verkehr aufs Wasser zu verlagern“, so Strähle. Dafür versuche man, den Umschlag so attraktiv wie möglich zu gestalten.

Während die Sonne langsam gen Westen wandert, wirft Claudia Hein ab und zu einen Blick aus dem Fenster der Minerva. Sie ist mit Telefonaten und Büroarbeit beschäftigt. Der Ladevorgang läuft noch immer, insgesamt zehn Stunden lang. „Das funktioniert hier sehr gut, da muss ich nicht immer schauen, dass die Jungs keinen Blödsinn machen“, sagt die Frau von der Mosel. Sie hofft, dass sie am Spätnachmittag los kommt und noch ein paar Stunden fahren kann. In einen malerischen Sonnenuntergang? Sie überlegt. Nach einem Moment des Innehaltens sagt sie: „Der Wechsel. Der macht den Unterschied. Der Hafen ist eingezwängt zwischen Beton, aber schon am Rand der Stadt wird alles grün und man sieht die Weinberge.“ Da ist er doch noch, ein Hauch von Romantik. Auch ohne Spelunken, weites Meer und Seemannsgarn.

Großes Festprogramm

Der Stuttgarter Hafen feiert an diesem Wochenende seinen 60. Geburtstag. Auf dem Programm stehen am 21. und 22. Juli Hafenrundfahrten zu Wasser und an Land, Vorführungen, Gastronomie, Musik und viel Kinderprogramm. Los geht es jeweils um 11 Uhr, die fünf verschiedenen Piers schließen abends zwischen 19 Uhr und Mitternacht. Der Eintritt ist frei.

Es fahren Shuttlebusse von Hedelfingen, Ober- und Untertürkheim. Mehr Infos unter www.stuttgarter-hafenfest.de.