Sie ist es: Madonna bei einem Auftritt in London 2012 Foto: Getty Images Europe

Sie ist und bleibt die größte Popmusikerin der Welt: an diesem Donnerstag wird die amerikanische Sängerin Madonna sechzig Jahre alt. Was hat sie, was andere nicht haben? Was macht sie so unvergleichlich?

Stuttgart - Madonna Louise Veronica Ciccone wuchs nicht wie Kylie Minogue als Kind einer Balletttänzerin in Melbourne oder wie Miley Cyrus als Tochter eines Countrystars und einer Filmproduzentin in Los Angeles auf, sie verlebte auch keine wohlbehütete Jugend in einer schwerreichen New Yorker Familie wie Stefanie Germanotta alias Lady Gaga. Madonna stammt aus einem kleinen Kaff in Michigan, der Vater ein Kfz-Mechaniker, die Mutter Arzthelferin, fünf Geschwister. Man muss besessener sein als andere, viele Widerstände und Konventionen überwinden, um da wegzukommen. Man muss gewiss auch härter sein als andere, um von dort aus als 19-Jährige mit dreißig Dollar in der Tasche nach New York zu ziehen, um das Glück zu suchen. Man muss aber auch ehrgeiziger sein, wie die exzellente und kulturell vielseitig interessierte Schülerin mit einem angeblichen IQ von 140, die in der High-School-Zeit Klavier- und Tanzstunden nahm und in New York das Gitarren- und Schlagzeugspiel erlernte. Man sollte Protegés haben wie Patrick Hernandez („Born to be alive“), der sie mit nach Paris nahm, oder wie den DJ Mark Kamins, der Madonnas erste Single „Everybody“ produzierte. Man muss jedoch vor allem – nicht nur, um von dieser Debütsingle immerhin 250000 Exemplare zu verkaufen – vor allem eines haben, um eine Karriere hinzulegen, wie es diese Musikerin getan hat: unglaublich viel Talent und Kreativität.

Viele Künstlerinnen singen deutlich besser als Madonna mit ihrem für Amerikanerinnen typisch hohen Organ. Viele Musikerinnen beherrschen ihre Instrumente eindeutig besser als Madonna, deren Konzerte nie als Sternstunden ausgestellten Virtuosentums galten. Einige von ihnen sind in ihrem künstlerischen Habitus weit verrätselter und in ihrer ästhetischen Gestaltungshöhe weitaus ambitionierter. Dennoch wird niemand auf Erden die Frage nach der größten aller weißen Popmusikerinnen anders beantworten als mit nur einem Wort: Madonna.

Viele Hits seit vier Jahrzehnten

Einige Gründe dafür liegen offensichtlich auf der Hand. Es sind die unzähligen Welthits, von – um nur einige in chronologischer Reihenfolge zu nennen - „Holiday“, „Like a Virgin“, „Material Girl“, „Into the Groove“ (alle in der ersten Hälfte der Achtziger) über „Live to tell“, „Papa don’t preach“, „True Blue“, „La Isla Bonita“, „Who’s that Girl“, „Like a Prayer“, „Express yourself“, „Cherish“ (wir befinden uns noch immer in den Achtzigern!) über „Justify my Love“, „Crazy for you“ und „Frozen“ bis hin zu (nun im neuen Jahrtausend) „Music“ oder „Hung up“. Es sind die sechs Grammys und die unzähligen anderen hochkarätigen künstlerischen Auszeichnungen. Die bis dato dreizehn Studioalben, von denen sie über dreihundert Millionen Exemplare verkauft hat, was sie zur „Sängerin mit den meisten verkauften Tonträgern aller Zeiten“ (Guinness-Buch) macht, was sich wiederum gut zu den Titeln „erfolgreichsten Musikerin aller Zeiten“ (Billboard) und „einflussreichsten Sängerin aller Zeiten (MTV) fügt. Was ihr nebenbei, um mit dem pekuniären Aspekt abzuschließen, zu einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde Euro verholfen hat.

Aber da ist natürlich mehr als nur diese Rekorde. Und damit ist nicht zwingend die Vielseitigkeit Madonnas gemeint, deren Wirkungsbereich Wikipedia mit Sängerin, Songschreiberin, Schauspielerin, Autorin, Regisseurin, Produzentin und Designerin beschreibt. Denn als Schauspielerin, man kann ja nicht alles haben, lief es von ihrer ersten großen Kinorolle in „Susan verzweifelt gesucht“ und vielleicht noch den beiden Filmen „Dick Tracy“ und „Evita“ abgesehen nicht wirklich rund für die Künstlerin.

Christliche Fundamentalisten zählen nicht zu ihren Fans

Die Filmflops sind nicht die einzige kleinere Scharte in der strahlenden Fassade der glänzend juvenil wirkenden Frau, der man den Umstand, dass sie an diesem Donnerstag sechzig Jahre alt wird, allenfalls an kleinen Details wie ihren Händen ansieht. Die beiden gescheiterten Ehen mit Sean Penn und Guy Ritchie, die Affären mit männlichen Models und dem Fitnesstrainer Carlos Leon (dem Vater ihrer Tochter Lourdes Maria) sind dabei Teil ihres Privatlebens und somit geschenkt. Ob sie mit ihrer sehr offensiven Zurschaustellung weiblicher Sexualität der Frauenbewegung einen Bärendienst erwiesen oder feminines Selbstbewusstsein geschärft hat, war bereits Gegenstand zahlreicher Debatten. Ihr, gelinde gesagt, herausfordernder Umgang insbesondere mit der christlichen Symbolik machte Madonna zur Hassfigur religiöser Fanatiker, hat selbst viele moderate Christen verschreckt – auch Margot Käßmann rief einmal zum Boykott eines Madonna-Konzerts in Hannover auf – und kostete sie insbesondere im prüden Amerika durch diverse Zensurmaßnahmen viel öffentliche Wahrnehmung. Da aber wird die karitativ engagierte Frau mit dem sehr aufgeweckten politischen Bewusstsein ebenso darüber gestanden sein wie über den Anfeindungen, die sie durch ihr Eintreten für sexuelle Vielfalt und gegen den Irakkrieg, George W. Bush und zuletzt Donald Trump kassiert hat. Allenfalls die Adoption der am Ende vier Kinder aus Malawi irritierte schließlich auch liberalere Geister. Der Ruch, die eigenen leiblichen Kinder verprellt zu haben und sich in dem afrikanischen Land auch mit Hilfe von viel Geld eine Lex Madonna geschaffen zu haben, wird ihr bleiben.

Umgekehrt ist die Souveränität ihrer emanzipierten Weiblichkeit für Madonna ein schöpferischer Quell sondergleichen. Damit sind nicht kalkulierte PR-Tricks wie der öffentliche Bühnenkuss mit Britney Spears gemeint. Sondern einerseits eine Unbekümmertheit, aus inniger Verliebtheit heraus ein Meisterwerk wie das Album „True Blue“ aufzunehmen, das sie Sean Penn widmete, den sie seinerzeit den „coolsten Mann des Universums“ nannte. Und andererseits Millionen von jungen Frauen rund um den Globus zu zeigen, dass auch sie sich viel mehr nehmen und viel mehr erreichen können, als sie sich vielleicht ausmalen. Beispielhaft dafür stehen nicht zuletzt Madonnas Konzerte. Ihre Tourneen sind keine Auftrittsreigen, sondern regelrechte Weihefestspiele. In ihrer inszenierten Wucht mit Bühnenbildern, die – ausnahmslos! – alle anderen Liveperformances fast wie Klubkonzerte dastehen lassen. Echte Augenweiden in ihren überbordenden Choreografien mit Heerscharen von Tänzerinnen und Tänzern, Backgroundsängerinnen und Sängern, Musikerinnen und Musikern. Sowie mit der alles überstrahlenden Königin, die sich mal ans Kreuz nageln lässt, mal auf einem elektrischen Stuhl sitzt, mal die Pose der kühlen Diva einnimmt und mal derwischgleich juvenil über die Bühne fegt.

Entscheidend ist die künstlerische Autonomie

Ihre künstlerische Autonomie ist es am Ende, die den Ausnahmestatus dieser Sängerin festigt. Selbst wer Madonnas Musik nicht mag, muss zur Kenntnis nehmen, dass auf dem von ihr gegründeten Plattenlabel Maverick Alben von den Bad Brains, The Prodigy, Muse, Marilyn Manson und den Deftones erschienen. Madonna selbst wiederum schreibt nach wie vor fast alle Texte ihrer Songs selbst, auf einem längst nicht nur banalen, sondern teils erstaunlichen Reflexionsniveau. Ihre Songschreiber und Produzenten sind über jegliche Zweifel erhaben, Spitzenkönner wie Timbaland, Pharell Williams, Kanye West, Nile Rodgers (David Bowie, Michael Jackson, Duran Duran), Patrick Leonard (Roger Waters, Elton John) oder Stuart Price (Seal, Pet Shop Boys) zählen dazu, Weltklasse-DJs wie Shep Pettibone, Martin Solveig oder Diplo, Branchenikonen (Nellee Hooper, Wiliam Orbit, Mirwais Ahmadzai und Talvin Singh) wie auch gänzlich unvermutete Mitstreiterinnen wie Björk. Die komplette künstlerische Kontrolle jedoch bleibt stets bei ihr, das letzte Wort hat immer Madonna.

Kommt bald eine neue CD?

Müßig schließlich wäre der Streit über die Frage, ob sie den Zenit ihrer Karriere längst überschritten hat. Dass sie von ihren letzten Alben jeweils „nur“ einige Millionen Exemplare absetzen konnte, wird ihr insbesondere in Zeiten des Daseinsberechtigungsverlusts der CD als solcher niemand ankreiden wollen; mal ganz abgesehen davon, dass dem bei der „Rebel Heart“-Welttournee zum bisher letzten Album 82 ausverkaufte Konzerte in Riesenarenen gegenüberstehen. Dass Madonnas letzte Nummer-Eins-Single „4 Minutes“ auch schon zehn Jahre alt ist, sagt allenfalls etwas über die Kommerzwelt aus – man kann sich auf dem dazugehörigen Album „Hard Candy“ ja jederzeit zum Beispiel echte Glanzstücke wie das Lied „Devil wouldn’t recognize me“ anhören, das ihr der wunderbare amerikanische Singer-/Songwriter Joe Henry geschrieben hat, der nebenbei übrigens auch ihr Schwager ist.

Und überhaupt: Songs für ein neues Album habe sie, erzählte die Königin des Pop vor Kurzem der „Vogue“, jüngst in ihrer neuen Wahlheimat Portugal „mit einer Menge großartiger Künstler“ aufgenommen. Bald steigt die Frau, zu deren vielen Bonmots auch der schöne Satz „Das Beste im Leben sind die Kämpfe“ zählt, also wieder in den Ring.