Sebastian Weingarten (links), sein späterer Adoptivvater Gerhard Woyda und Schauspielerin Maria Schell 1981 vor der Renitenz-Außenstelle, die sich im London Club des Hotels Stuttgart International befand. Foto: Renitenz

Nur wenige wissen, dass sein Vorgänger Gerhard Woyda auch sein Adoptivvater war. Sebastian Weingarten, Intendant des Renitenz-Theaters, erzählt, wie es dazu kam, und erinnert sich zum 60. Geburtstag der Bühne an spannende Zeiten.

Stuttgart - Eine Woche, die ihn emotional tief berührt hat, liegt hinter Sebastian Weingarten, dem Chef des Renitenztheaters. Erst gab’s im Netz eine turbulente Show der Überraschungen zum Jubiläum einer Kulturstätte, die das deutsche Kabarett seit den 1960ern mitprägt. Promis wie Max Uthoff („Anstalt“) und Christine Prayon („heute-show“) waren angereist. Unter Regie von Michael Maschke traten sie, zeitlich voneinander getrennt, auf jener Bühne auf, die sie witzig und geistreich hochleben ließen.

Der Hausherr freute sich riesig über das Bombardement der Gags und der republikweit zugeschalteten Gaststars wie Jürgen von der Lippe und Lisa Fitz in der Show zum Sechzigsten (Moderator: der wunderbare Bernd Kohlhepp) – und ebenso über die Resonanz. In den ersten zwei Tagen haben bereits 3500 Menschen die Show gesehen – für diese Zahl hätte man wochenlang im Renitenz spielen müssen.

Der Besuch im Kinderhospiz ging ihm sehr nahe

Danach war Weingarten mit Musicalstar Maximilian Mann („Aladdin“) Gast im Kinderhospiz auf der Diemershalde – auch dieser Besuch ging ihm sehr nahe. „Man hat uns im Freien die Meditationsecke gezeigt, in die man sich zurückziehen kann“, berichtet der Intendant, „die Namen der gestorbenen Kinder sind hier angebracht.“ Es schmerzt, wenn man diese Namen liest, aber es baut ein wenig auf, wenn man hört, wie diese Einrichtung Menschen hilft, bei denen nach lebensbedrohlicher Erkrankung eines Familienmitglieds das Leben aus den Fugen gerät. Marion Ebach und Christina Lucia Semrau bedankten sich im Namen des Hospizes beim Sänger und Theaterchef, die 1600 Euro, den Erlös eines Konzerts im Hospitalhof, als Spende mitbrachten.

Sebastian Weingarten kennt die Villa, in der sich das Kinderhospiz befindet, aus früherer Zeit. Hier befand sich das Französische Institut, in dem der heutige Intendant 1981 einen Französischkurs besuchte.

1974 lernten sich Woyda und Weingarten in St. Tropez kennen

Frankreich spielt in seinem Leben eine wichtige Rolle. Blicken wir zurück ins Jahr 1974 – in den südfranzösischen Hafenort St. Tropez. Der junge Sebastian singt mit einem Freund zur Gitarre, um das Reisegeld aufzubessern. „Wir schliefen am Strand“, erzählt er. Vergeblich hatten sie Schließfächer gesucht. Ein freundlicher Herr bot sich an, das Gepäck aufzubewahren. Es war Gerhard Woyda, der regelmäßig in St. Tropez urlaubte.

Noch heute ist Weingarten froh über diesen glücklichen Zufall, der sein Leben entscheidend verändert hat. Woyda war angetan von den eigenen Liedern, die der damals 17-Jährige spielte. „Er ermutigte mich, weiterzumachen“, erzählt Weingarten.

„Lasst mein Sohn rein!“, rief der Juhnke

Dank Woyda ist Stuttgart zum Lebensmittelpunkt des einstigen Straßenmusikers geworden. Dafür gab der 1957 in Nordrhein-Westfalen Geborene die gesicherte Existenz eines Beamten auf, besuchte nach der Verwaltungshochschule die Stuttgarter Schauspielschule, stand auf der Bühne des Renitenztheaters, das sich auf der Königstraße befand, und half Woyda 1981, eine zweite Bühne auf den Fildern aufzubauen. Das Hotel Stuttgart International wollte für seinen London Club mit Prominenz aus dem Renitenz die Umsätze steigern. In der vier Jahre währenden Außenstelle des Theaters traten etwa Zarah Leander, Carl Schell (er brachte seine Schwester Maria Schell zur Premiere mit) sowie Harald Juhnke auf.

Weingarten wohnte in einem SI-Appartement. Ach, was für Geschichten kann er davon erzählen! Allein schon der Juhnke! Nach seinem Gastspiel feierte dieser After-Show-Party in der Stadt. Weingarten scheiterte am Türsteher. Als Juhnke dies mitbekam, rief er laut: „Lasst meinen Sohn rein!“

Im Alter von 91 Jahren ist Woyda gestorben

Nicht nur Juhnkes „Sohn“ war der heutige Renitenz-Chef, dessen kompletter Nachname Weingarten-Woyda lautet. 1991 hat ihn der damals schwer erkrankte Gerhard Woyda adoptiert. Das verwandtschaftliche Verhältnis half, um ihn im Krankenhaus besuchen und betreuen zu können. Dem legendären Theatergründer ging es danach besser. Bis ins hohe Alter trat er auf seiner geliebten Bühne auf, schrieb zum 50. Renitenz-Geburtstag das Programm „Tim Fischer singt Woyda“ und feierte 2013 mit Mathias Richling das Comeback des Valentin-Programms aus den 1970ern. Woyda saß am Flügel und heulte wie ein Hund. 2017 ist der erste Renitenz-Chef im Alter von 91 Jahren gestorben – sein Adoptivsohn Sebastian Weingarten hatte ihn zu sich geholt und bis zum Tod gepflegt.

„Woydas Noblesse und Feinfühligkeit, seine Liebe zur Kunst, seine Bescheidenheit und Professionalität machten das Renitenz zur großen Familie“, sagt der Intendant, dessen Frankreich-Liebe nicht nachlässt. Sein Ehemann Julien Weingarten-Woyda ist Franzose. In St. Tropez lernte er ihn kennen. Die Stadt soll zu ihrem Alterssitz werden.

Ein Verein übernahm 1986 das Theater, um es zu retten

2004 wurde Sebastian Weingarten Nachfolger seines Adoptivvaters, was dieser nicht entscheiden konnte. Gerhard Woyda war zu dieser Zeit Angestellter eines Vereins, der 1986 mit Finanzhilfe der Stadt das Renitenz übernommen hatte – das Privattheater stand damals vor der Insolvenz. Mit sieben Mitbewerbern hatte sich Weingarten einer Jury gestellt, war nervös „wie im Abi“ und bekam seinen Traumposten.

Eine Woche der großen Gefühle liegt hinter ihm – mit Corona, Kinderhospiz und der Streamingshow. Das Renitenz steckt wegen der Pandemie in seiner größten Krise in 60 Jahren. Die Fans und die Künstler, so wird rund um den runden Geburtstag klar, stehen zu diesem einzigartigen Theater. Es wird weitergehen. Alle freuen sich darauf!