Seit 1981 baut Mercedes-Benz Airbags in seine Automodelle ein. Seit 1992 gehört der Fahrer-Airbag zur Grundausstattung in jedem Fahrzeug mit dem Stern. Foto: Daimler AG

Wer anders als Mercedes-Benz hätte den Airbag zur Serienreife bringen können. Auf dem 51. Genfer Automobilsalon 1981 wurde das sich automatisch aufblasende Prallkissen erstmals vorgestellt. Seitdem hat es Zehntausende Leben gerettet.

Stuttgart - Der Sack gehört wie das Seil und das Rad zu den fundamentalsten menschlichen Erfindungen. Ohne Sack gäbe es keine Zivilisation, weil diese auf dem Transport und Tausch von Waren beruht. Wie aber soll man Nahrung und Gegenstände aller Art von einem Ort zum anderen bringen, wenn man sie nicht verstauen kann. Was man mit Säcken alles anstellen kann und wozu sie zunutze sind, zeigt sich beim Airbag. Er ist die Krönung der Sack-Idee. Viel heiße Luft in einem absolut dichten Kissen, das einem einzigen Zweck dient: Menschenleben zu retten.

1966 begannen bei Mercedes die Tüftelarbeiten

1966 begannen bei Mercedes-Benz in Stuttgart die ersten praktischen Versuche mit dem Festbrennstoff Natriumacid als Treibmittel für einen Airbag. Die Idee war wie so vieles in der Geschichte der Erfindungen der Not geschuldet. Die Massenmotorisierung führte dazu, dass sich die Zahl der schweren und tödlich verlaufenden Unfälle drastisch erhöhte.

Zwar hatte bereits 1951 der Münchner Ingenieur und Erfinder Walter Linderer ein automatisch aufblasbares Luftkissen für Pkws als Patent als Patent Nr. 896312 („Einrichtung zum Schutze von in Fahrzeugen befindlichen Personen gegen Verletzungen bei Zusammenstößen“) angemeldet. Doch Linderers Konstrukt war mit seinem hohen Gewicht, dem großen Volumen und der verwendeten Hochdruckflaschen für Pressluft und das Kühlgas Frigon völlig ungeeignet, um in Pkws eingebaut zu werden. Also mussten die Sicherheitsingenieure von Mercedes-Benz ran, um das Problem zu lösen.

Weltpremiere auf dem Genfer Automobilsalon 1981

Auf dem 51. Genfer Automobilsalon vom 5. bis 15. März 1981 stellten die Stuttgarter den Airbag samt Gurtstraffer offiziell für die Spitzenbaureihe W 126 vor. Dass Mercedes der erste Hersteller der Welt war, der ein Serienauto mit einem Fahrerairbag ausstattete, wird niemanden überraschen. Die schwäbische Autoschmiede ist in der Geschichte des Automobils der unangefochtene König der Erfindungen. So technologisch innovativ, so konstrukteurmäßig genial und so praktisch orientiert war und ist keine andere Marke.

SRS – was ist das?

Der Fachbegriff SRS (für Supplemental Restraint System) ist nur Experten geläufig, obwohl SRS exakt das beschreibt, was ein Airbag leisten soll. Er muss absolut dicht, reizfest und flexibel sein. Innerhalb von 50 Millisekunden bläst sich der im Lenkrad, in der Seitentür oder oberhalb des Handschuhfachs zusammengefaltete Airbag mit lautem Knall zu einem imposanten Kissen mit 45 bis 120 Liter Inhalt auf. Als ergänzendes Rückhaltesystem bildet er zusammen mit dem Sicherheitsgurt einen Schutz für Autofahrer, der heute für Kompaktwagen absolut selbstverständlich und gesetzlich vorgeschrieben ist.

Bei der Weltpremiere 1981 löste das sich binnen 50 Millisekunden selbst aufblasende Teil für Kopfschütteln. Das lag nicht nur an der zugleich genialen wie schlichten Idee einen mit Luft gefüllten Sack als Knautschkissen zu verwenden, um Fahrer und später alle Fahrzeuginsassen optimal zu schützen. Vor allem lag es am Preis.

Airbag und Sicherheitsgurt wurden zunächst nur als Sonderausstattung für die S-Klassen-Limousine und das Coupé angeboten. Der Aufpreis für den Luxus, der heute selbstverständlich ist, kostete damals 1525,50 Mark (780 Euro). Bei einem Neupreis von 70 715 Mark für das Stuttgarter Spitzenmodell mit dem Stern, den 500 SLC, war das ganz schön happig. Dennoch entschieden sich 2636 wohlbetuchte Kunden für die Neuerung.

Sprengkapsel als Auslöser

Natriumacid stammt aus der Raketenforschung, wo es auch als Sprengstoff verwendet wird. Als weißes Pulver ist es in einer winzigen Sprengkapsel des Airbags verborgen. Wenn die Crashsensoren im Fahrzeug einen Aufprall melden, wird das Natriumazid in der Kapsel durch einen Zünder auf circa 1350 Grad Celsius erhitzt wird und explodiert. Vom Gasgenerator strömt es in den Airbag, der sich binnen Millisekunden aufbläht und sofort wieder entleert.

Das Gas bläht den Airbag auf, das giftige Natrium wird durch chemische Zusätze in harmlosen Salzen gebunden. Die Insassen des Autos atmen nur ungefährlichen Stickstoff ein. Der ganze Vorgang dauert 150 Millisekunden (1 Millisekunde=0,0001 Sekunde).

Seit 1992 Serienstandard

Nachdem automatische Insassen-Schutzsysteme 1973 in den USA für Neuwagen Vorschrift wurden, mussten die Autohersteller aufs Gaspedal treten. Das erste serienmäßige System vom US-Autobauer General Motors war allerdings ein Flop. 1974 eingeführt, wurde es bereits zwei Jahre später wieder vom Markt genommen. Nach 1981 rüstete Mercedes-Benz den gesamten Innenraum peu à peu mit Luftkissen auf: Beifahrer-Airbag (1987), Seiten-Airbag (1995), Window Bag (1998). Seit 1992 gehören der Fahrer-Airbag und 1994 der Beifahrer-Airbag zur Serien-Ausstattung allen Mercedes-Modelle.

Größte Rückrufaktion aller Zeiten

„Airbags sind keine Schmusekissen“, erklärt der ADAC-Sicherheitsexperte Hubert Paulus. Das beweist auch die Statistik. Laut US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA führten Airbag-Auslösungen in den USA zwischen 1990 und 2007 zu 284 Todesfällen – darunter 180 Kinder. Demgegenüber verdanken mehr als 24 000 Personen dem Prallkissen ihr Leben.

Fehlerhafte Airbags sind auch der Grund für die größte Rückrufaktion der Geschichte. Airbags des japanischen Zulieferers Takata sind in fast alle Automarken eingebaut – darunter Mercedes, VW, Audi, Toyota, Suzuki, Nissan und Honda. Nachdem es beim Aufblasen durch herumfliegende Metallsplitter zu mehreren Todesfällen gekommen ist, müssen mindestens 200 Millionen Fahrzeuge bis 2019 in die Werkstatt.