Im Jahr 1978 wurde der Tarif- und Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) gegründet. Seitdem macht er auch Werbung für Busse und Bahnen in der Region Stuttgart. Motive aus den vergangenen 40 Jahren werden in einer Ausstellung gezeigt – und auch Plakate, die bisher nicht in der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Stuttgart - Im Bahnverkehr gehören Verspätungen zum Fahrplan. Doch die Werber des VVS waren mit einem Spruch ihrer Zeit weit voraus. „Die Stadt erstickt, der Wald verreckt, und ihr habt uns noch nicht entdeckt“, reimten sie in den 80ern des vorigen Jahrhunderts. Das wäre auch heute noch aktuell. Zu seinem 40-Jahr-Jubiläum blickt der von täglich mehr als einer Million Fahrgästen genutzte Verbund in einer kleinen, überaus sehenswerten Ausstellung auch darauf zurück, wie er seit 1978 für den Umstieg auf Bahn und Busse Werbung macht.
Die Farbe orange – warum?
Wilfried Vilz steht vor einer Schautafel. Der ehemalige Pressesprecher des VVS, der Wert auf die Feststellung legt, dass andere die Werbelinie erfunden und geprägt haben, kann sich noch gut an die Anfangszeit des Verbunds erinnern. „Damals wurde die Farbe orange ausgewählt, das galt als frisch und optimistisch“, sagt er. In der Öffentlichkeit spotteten freilich einige, der VVS sei wohl eine Abteilung der Müllabfuhr. Und manch einer glaubt bis heute, da habe jemand einfach das Gelb der Stuttgarter Straßenbahnen mit dem Rot der Bahn zusammengerührt. Die Wahrheit ist wie so oft viel profaner: die Farbe der auffällig orange lackierten Fahrkartenautomaten wurde übernommen.
Claus Peymann und der VVS
Mehr als die Farbe fällt aber zunächst auf, dass in den Anfangsjahren viel erklärt und mit Farben nicht gegeizt wurde, auch die SDR-Maskottchen „Äffle und Pferdle“ machten für den VVS Reklame. „Mit dem illustrativen Auftritt wollten wir unser Angebot bekannt machen“, sagt Vilz, „aber es ging in der damals stark automobilgeprägten Zeit auch ums Image des Nahverkehrs“.
So verkündete Anfang der 80er Jahre ein Plakat „Die Spur sicherer“ und zeigte eine Straßenbahn der Linie 5 – was beabsichtigt war. Unbeabsichtigt war das angezeigte Fahrtziel: Stammheim. Und das in Zeiten, als das Gefängnis in dem Stadtteil noch als RAF-Knast bekannt war: die Spur sicherer in den Hochsicherheitstrakt. „Uns fiel das erst auf, als das Plakat schon fertig war“, erinnert sich Vilz, „wir haben das dann einfach durchgewinkt“. Und so sicherten sich die VVS-Verantwortlichen große Aufmerksamkeit: das Plakat war Thema in den Feuilletons, Intendant und Regisseur Claus Peymann hängte sich damals ein Exemplar sogar in sein Büro am Wiener Burgtheater.
Frechheit siegt- gerade in der Werbung
Jahre später wurde die VVS-Werbung absichtlich frech. Die damals schon grassierende Erhöhung der Benzinpreise persiflierte der VVS mit einem Plakat, das ein schmuckes Einfamilienhäuschen mit einem Erdölförderturm im Garten zeigte, versehen mit dem Bekenntnis: „Hohe Spritpreise – was geht es mich an“. Legendär sind auch die verballhornten Haltestellen-Sprüche nach dem Beispiel „Olgaeck ich an“. Und später „Dinner, Disco, Ditzingen“. Oft wurden auch Verhaltensregeln humoristisch erklärt: etwa die Football-Spieler, die „erst aussteigen lassen, dann einsteigen“ empfahlen. Zur Sauberkeit in Stadtbahnen und Bussen wurde mit einem Motiv aufgerufen, das echte Schweine zeigt. Apropos Tiere: Im Jahr 2004 gab es die Werbung mit dem Spruch: „Wir fahren selbst dorthin, wo sich Fuchs und Has‘ gute Nacht sagen“ – eine Anspielung auf die beiden Landräte Johannes Fuchs (Rems-Murr-Kreis) und Rainer Haas (Kreis Ludwigsburg). „Die Herren nahmen’s mit Humor“, erinnert sich Vilz.
Die Sache mit Abi und Abo
Gar nicht zum Lachen zumute war den VVS-Verantwortlichen aber, als sie die günstigen Abo-Preise damit anpriesen, dass man sich vom Ersparten einiges leisten könne – und dazu einen Hummer zeigten. „Die Tierschützer liefen Sturm“, sagt Vilz – und auch die Erklärung, dass beim Fotoshooting ein Plastiktier verwendet worden war, sorgte kaum für Beruhigung. Einen veritablen Shitstorm erntete der VVS Anfang dieses Jahrzehnts mit dem Motiv eines muskelbepackten, tätowierten Mannes, der für die Jahreskarte warb: „Das Abo rechnet sich – das check‘ ich auch ohne Abi“. Das regte sogar einen StZ-Kolumnisten zu einem Brief an den VVS an, der auch gezeigt wird.
Keine VVS-Werber: Hohnecker und Hasselhoff
Erst gar nicht veröffentlicht wurde ein Plakat für Seniorentickets mit SED-Chef Erich Hohnecker. Auch die Werbung mit der siebenfachen Mutter und damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen, die mit dem Spruch „Gemacht für die ganze Familie“ für ein Gruppenticket trommeln sollte, wurde der Öffentlichkeit vorenthalten. Selbst der nur mit roter Badehose bekleidete Baywatch-Star David Hasselhoff, der einen Sommer-Spezial-Tarif anpreisen sollte, fiel durch. „Wir haben dann ein Motiv mit Eiskugeln genommen“, sagt VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger – in der Tat eine Alternative zum Waschbrettbauch. Ebenfalls erstmals aus dem Giftschrank geholt und präsentiert, wird ein Plakat, das einen Mann zeigt, der den Kopf auf die Schienen legt, und auf den Zug wartet – als Werbung für die neue Handyauskunft. „Das ging gar nicht“, sagt Vilz.
Übrigens: Auch der Werbespruch über die erstickende Stadt und den verreckenden Wald wurde nie veröffentlicht. Das Stuttgarter Rathaus hatte damals sofort interveniert. Heute darf der VVS immerhin mit der „Keinstaubplakette“ für sich und sein Umweltticket werben. In orange.