Am Montag trafen sich die Gegner von Stuttgart 21 zur 350. Demonstration gegen das Bahnprojekt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Bei der 350. Montagsdemo gab es Kritik am „Tunnelbaupapst“ von Stuttgart 21 und einen Appell an den Bahn-Aufsichtsrat. Die Stuttgart-21-Gegner zählten an die 4000 Teilnehmer, die Polizei weitaus weniger.

Stuttgart - Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat der Bahn wenige Tage vor der nächsten Aufsichtsratssitzung vorgeworfen, die Risiken des Tunnelbaus im quellfähigem Gestein herunterzuspielen. Sie stütze sich einzig auf den Experten Walter Wittke und dessen langjährige Erfahrung, zu der aber auch misslungene Projekte gehörten, kritisierte Rudolf Röder von einer Anwohnerinitiative am Montag in Stuttgart.

„Der Herr Wittke ist nicht unfehlbar.“ So habe der Ingenieur Anfang der 80er Jahre einen Tunnel in Stuttgart als Gutachter und technischer Prüfer begleitet, dessen Decke zusammengebrochen sei. „Von sicheren Tunneln in Stuttgart kann pauschal nicht geredet werden.“ Die Gegner von Stuttgart 21 rufen die Aufsichtsräte angesichts vieler Unwägbarkeiten erneut auf, an diesem Mittwoch dem Projekt ihre Zustimmung zu entziehen.

Verfahren beim Tunnelbau vorher noch nie erprobt

Bei den Stuttgart-21-Tunneln probiere „Tunnelbaupapst“ Wittke Verfahren aus, die zuvor noch nicht erprobt worden seien, sagte Röder. Das gelte etwa für die Kunstharzinjektionen in den sogenannten Anhydrit, der bei Wassereintritt sein Volumen massiv vergrößert. Auch wenn beim bisherigen Vorantreiben der Tunnel laut Bahn noch keine Probleme aufgetreten seien, könnten Quellprozesse nach Jahren einsetzen und zu Gebäudeschäden führen. Leidtragende könnten dann Hunderte Stuttgarter sein. Schon jetzt würden Anwohner durch Sprengungen gestört.

Auch Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sieht Klärungsbedarf. Er prüft nach Aussagen seines Sprechers, einen Sonderlenkungskreis zum Tunnelbau oder ein Fachgespräch mit Experten unterschiedlicher Ansicht von der Bahn als Bauherrin zu verlangen. Der Konzern verweist darauf, dass Wittke als einer der renommiertesten Experten weltweit gilt.

Bahn begehe „grobe Täuschung“

Nach Überzeugung des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 kann der Aufsichtsrat der Bahn jetzt ohne politische Intervention entscheiden. Mit der jüngsten Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sie unterstütze „gewissenhaftes“ Agieren der Kontrolleure, gebe sie diesen mehr Freiheit als je zuvor, sagte Sprecher Eisenhart von Loeper. „Den politischen Druck von 2013 gibt es heute nicht.“

Damals hätten Politiker auf den Aufsichtsrat eingewirkt, den Weiterbau des Projekts zu beschließen. Die Kontrolleure setzten sich der Gefahr aus, beim Festhalten an Stuttgart 21 mit Aktien- und Strafrecht in Konflikt zu geraten. Auch die Projektpartner von Land, Stadt und Region Stuttgart und Flughafen dürften das „schiffbrüchige“ Projekt Stuttgart 21 nicht länger treiben lassen.

Zudem bescheinige die vom Kontrollgremium selbst in Auftrag gegebene Expertise der Wirtschaftsprüfer von KPMG dem Projekt ein „unüblich hohes Risiko für die Betriebstauglichkeit“, sagte von Loeper. Der Geologe Jakob Sierig verlangt deshalb zusätzliche Röhren, in denen die Züge mögliche langwierige Tunnelbaustellen im Anhydrit umfahren können. Dies bedeute Mehrkosten im dreitstelligen Millionenbereich. Die Bahn kalkuliert die Kosten für die Neuordnung des Stuttgarter Bahnknotens auf bis zu 6,5 MiIlliarden Euro, darunter 144 Millionen Euro für geologische Risiken.

Wenn die Bahn behaupte, mehr als 50 Prozent des Anhydrits von Stuttgart 21 problemlos durchbohrt zu haben, dann sei das „grobe Täuschung“, sagte der Geologe Ralf Laterner. Nach seiner Meinung ist das nur ein Viertel, denn wichtige Strecken wie der Fildertunnel sind ihm zufolge bei den Bahnangaben nicht berücksichtigt.

Zur 350. Montagsdemonstration kamen nach Angaben der Stuttgart-21-Gegner 4000 Menschen vor den Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Polizei sprach von lediglich 2200 Demonstranten. Aus Sicht der Gegner ist ein Ausstieg aus dem Projekt noch möglich - fast sieben Jahren nach dem Baubeginn. Veranschlagt werden dafür Aus- und Umstiegskosten von 3,65 Milliarden Euro, so dass sich im Vergleich zu den Berechnungen der Bahn noch eine Ersparnis von 2,9 Milliarden Euro ergäbe. Kern der von den Gegnern vorgeschlagenen Alternative ist, den bestehenden Kopfbahnhof zu modernisieren und über das Neckartal mit Wendlingen und der Neubaustrecke nach Ulm zu verbinden.